: Afrokaribisch, aber abstrakt
■ „Karibische Kunst Heute“ & „Schwarze Kunst“ – Doppelausstellung in Kassel
„Für Sie sind wir die anderen, aber Sie sind die anderen für uns“, sagte der puertoricanische Künstler Antonio Martorell in seiner kurzen Ansprache anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Karibische Kunst Heute“ in Kassel. In bezug auf die Kunst stimmt diese Aussage jedoch nur bedingt. Die karibischen Künstlerinnen und Künstler haben die Kunst des Westens jedenfalls eingehender studiert als umgekehrt. In Martorells eigenem Beitrag wird diese Ausrichtung deutlich: Er hat einen ganzen Raum mit religiösen Symbolen zu einem grotesken Kramladen ausstaffiert. Riesige Heiligenbilder in sargähnlichen Vitrinen, umrankt von monumentalem Nippes. Damit thematisiert er in ironischer Brechung den in der heimischen Bevölkerung tief verwurzelten katholischen Glauben. Martorell scheint sich deutlich am Collageprinzip des Dadaismus orientiert zu haben, seine Arbeit erinnert ein wenig an Kurt Schwitters' Merzbau.
45 Künstlerinnen und Künstler aus elf Ländern der Karibik, unter anderm aus Kuba, Haiti, der Dominikanischen Republik, Jamaica oder Aruba sind in Kassel vertreten. Erstmals wird damit in diesem Umfang in Europa ein Überblick über das aktuelle Kunstschaffen der geographisch und politisch zersplitterten Region Karibik vermittelt. Organisiert wurde die Ausstellung von der Projektgruppe „Stoffwechsel“ an der Gesamthochschule Kassel unter Leitung des aus Ägypten stammenden Professors für Textildesign, Hamdi el Attar. Nach der demonstrativen Ausstellung „Begegnung mit den Anderen“, die 1992 parallel zur Documenta 9 stattfand, setzt die Gruppe damit ihre Arbeit an einer Bestandsaufnahme außereuropäischer Kunst fort.
„Wir sind keine Ausstellungsmacher“, betont el Attar. Es gehe nicht darum, Kunst unter ausschließlich ästhetischen Kriterien nur zu inszenieren. Worauf es ihm und der Gruppe vielmehr ankomme, sei, zunächst Informationen über das Kunstschaffen anderer Kulturkreise zu sammeln, um die Ergebnisse dann in einem quasi
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dokumentarischen Verfahren zu präsentieren. Dabei sollen nicht nur Verflechtungen von Kunst, Politik und Wirtschaft deutlich werden. Vor allem gilt, das westliche Bewußtsein für andere Wahrnehmungs- und Darstellungsformen zu sensibilisieren. Voraussetzung einer Teilnahme an der Ausstellung war demzufolge, daß die Künstlerinnen und Künstler in ihrem Land leben und arbeiten und somit den Kontakt zur dortigen politischen und gesellschaftlichen Realität nicht verloren haben. Sie sollen über ihre Kunst ihre eigene „kulturelle Identität“ ausdrücken oder wenigstens im Begriff stehen, diese zu „suchen“.
Nun haben nicht wenige der Künstler ihre Ausbildung in Europa oder den USA erhalten und sind deshalb in unterschiedlichem Grad von westlichen Kunsteinflüssen affiziert. Durch diese Konfrontation zweier Kulturkreise, durch den Dialog zwischen vielleicht „karibisch“ zu nennenden Inhalten und „westlichen“ Formen, entsteht eine überraschende Vielfalt künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. Beispiele für diese konkrete Vermischung sind Victor Anicet aus Martinique oder Roy Lawaetz von den Virgin Islands: Beide versuchen mit ihrer starkfarbigen abstrakt-expressiven Malerei das Andenken an die ausgerotteten präkolumbianischen Arawak-Indianer wachzuhalten. Sie beziehen sich damit inhaltlich zwar auf eine Kultur, die noch vor der ihrer eigenen Vorfahren liegt und von Vergessenheit bedroht ist, während sie formal den „westlichen“ Weg einschlagen. Und Carlos A. Rivera aus Puerto Rico verarbeitet Erfahrungen von Unterdrückung und Rassenhaß in großformatigen Linolschnitten, die sich mit ihren Verzerrungen an den Expressionismus anlehnen, aber auch Pop- Art-Einflüsse nicht leugnen.
Weil ein großer Teil der heutigen karibischen Bevölkerung sowohl von den europäischen Kolonialisten als auch von den durch sie eingeführten Sklaven aus Schwarzafrika abstammt, hat man in Kassel einen zweiten Schwerpunkt gesetzt: Lebt die Kunst aus Afrika in der Karibik weiter?
Schon beim Betreten der Halle K18 fällt der Kontrast zu den sonst lichtdurchfluteten Raumstrukturen moderner Ausstellungshäuser auf.
Das Fabrikgebäude wirkt wie eine Höhle mit weißgetünchten, unverputzten Wänden und dem Stahlträgerdach darüber. Die Bilder sind rings ein wenig provisorisch an den Außenmauern und auf roh gezimmerten Holzwänden verteilt. Die Malerei dominiert. Abgesehen von zwei Makonde- Schnitzereien, sind Masken und Götterfiguren – die im Westen normalerweise für die Insignien afrikanischer Kunst gehalten werden und unsere Vorstellungen davon bis auf den heutigen Tag prägen – ebenso wie Airport-Art für Touristen nicht vertreten.
Beim Vergleich zwischen der Kunst der Karibik und der Schwarzafrikas muß man zwischen Formen und Funktionen grundsätzlich unterscheiden. Während in den karibischen Staaten nicht selten vor allem jene Kunst Anerkennung findet, die westliche Einflüsse bewußt verarbeitet, steht afrikanische Kunst noch häufig in gewachsenen gesellschaftlichen Kontexten. Nur in wenigen afrikanischen Ländern hat akademische, „freie“ Kunst die Bedeutung erlangt wie mittlerweile in der Karibik. Denn in Afrika entsteht Kunst oftmals gar nicht im Sinne westlicher Kunstdefinitionen und wird folglich auch nicht als solche wahrgenommen. Weit verbreitet ist die populäre Schildermalerei, mit der auf Produkte oder Dienstleistungen aufmerksam gemacht wird, wie zum Beispiel die bekannten, holzschnittartigen Friseurbilder. Diese einfachen Darstellungen sollen nichts als ihren Zweck erfüllen, nämlich über Haarmoden informieren. Auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs werden allenthalben bemalt und verziert, ganz individuell „verschönert“ eben. So finden sich unmittelbar neben den Werbebildern mit Gesichtern bemalte Kleiderbügel. Zur populären Malerei zählen auch penibel realistische Porträts, meist nach Fotovorlagen, die das auch hier verbreitete Bedürfnis nach gemalter Abbildung bedienen. Originelle Darstellungsweisen werden dabei von den Porträtisten nicht verlangt. Einziges Kriterium ist die Übereinstimmung oder wenigstens eine Ähnlichkeit mit der Vorlage.
Vergleichbare Verzahnungen von Form und Funktion scheinen sich in der Karibik nur noch in der religiösen Malerei Haitis erhalten zu haben. Da die Analphabetenquote auf der Insel enorm hoch ist, sind die Darstellungen leicht „lesbar“ und für die Betrachter nachvollziehbar. Die Malerei ist volkstümlich-einfach und bunt. Bildszenen sind meist aus einem frontalen und starren Blickwinkel wiedergegeben, die Hintergründe sind nicht perspektivisch gestaltet, und die Figuren wirken, als seien sie auf einem Webrahmen gespannt. Diese Darstellungsmuster sind in Afrika besonders noch in der Quadratmalerei Tansanias präsent. Keine Beachtung findet erstaunlicherweise der Afrikakult der jamaicanischen Rastafari.
Afrikanische Künstler, die andere Ausdrucksformen suchen, sind von den Künstlern der Karibik, die das gleiche tun, nicht zu unterscheiden. Wenn Gani Odutokun aus Nigeria mit Farbflächen experimentiert und surrealistisch- figurative Motive mit einfließen läßt, ist das genausowenig genuin „afrikanisch“, wie die abstrakte Malerei von Domingo Liz aus der Dominikanischen Republik „karibisch“ zu nennen ist. Das muß auch nicht sein – wenn man wie el Attar davon ausgeht, daß die Kunst eine universelle Weltsprache ist.
Andreas Gebhardt
Bis 16.10. in der Halle K 18, Kassel. Ein Katalog über „Karibische Kunst Heute“, hrsg. von der Gruppe „Stoffwechsel“ an der GhK, kostet 48 Mark.
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