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■ Immer mehr junge Frauen wählen nicht mehrGespenstisch

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Nicht das des Kommunismus. Nein, das neue Gespenst ist amorph und gesichtslos, und es verflüchtigt sich, sobald es an seine „staatsbürgerliche Pflicht“ erinnert wird. Die Rede ist von der neuen Partei der Nichtwählerschaft, die die Bekenntnis- Parteien in eine um so größere Legitimationskrise stürzt, als es vor allem die Jungen sind, die auf deren Stellvertreterschaft verzichten. Daß sich dabei die jungen Frauen, insbesondere die Zweitwählerinnen zwischen 21 und 24 Jahren, hervortun, wird in der Regel mit dezentem Verweis auf den „weiblichen Sozialcharakter“ und das „politische Desinteresse“ von „Mädchen“ kommentiert.

Der Trend als solcher ist eindeutig und wurde bereits im Februar 1994 vom Fernsehmagazin Monitor als „alarmierend“ empfunden: Über die Hälfte der befragten ostdeutschen Jungwählerinnen äußerte die Absicht, bei der nächsten Bundestagswahl ihre Stimme nicht abgeben zu wollen, im Westen sah es nicht viel anders aus. Die Resultate der Europawahl vom Juni und der folgenden Landtagswahlen bestätigten diese Entwicklung, wie in einer von der SPD in Auftrag gegebenen Studie der Wahlforscherinnen Ursula Feist und Martina Wendt nachzulesen.*

Eine bewußte Entscheidung

Markant ist vorab, daß die Wahlbeteiligung der Erst- und Zweitwählerinnen (18–24 Jahre) von 1972 bis 1990 um über 20 Prozent – mit steil abfallender Tendenz seit 1987 – zurückgegangen ist (gegenüber einem Rückgang der allgemeinen Wahlbeteiligung um 10 Prozent). Waren bei den Bundestagswahlen 1990 immerhin noch rund 63 Prozent der jungen Frauen mobilisierbar, so haben sich an den Europawahlen im Sommer nicht einmal mehr die Hälfte beteiligt, im Osten waren es 46,1, im Westen 50,5 Prozent der Zweitwählerinnen (bei den Erstwählerinnen, für die der Wahlgang noch „Neuigkeitswert“ hat, liegt der Anteil erwartungsgemäß etwas höher).

Gleichzeitig stellen die Autorinnen eine Verschiebung der Wahlpräferenz fest: Wählten die jungen Frauen in früheren Restaurationsperioden eher konservativ, so neigen sie derzeit, stärker als etwa ihre eher rechts(extrem) wählenden männlichen Altersgenossen der SPD und zunehmend, etwa bei den Europawahlen, den Bündnisgrünen zu, wo sich die Anteile (27,8 SPD, 22,9 Bündnisgrüne) fast angeglichen haben. Ergebnisse bei den Landtagswahlen signalisieren zumindest in Westdeutschland eine ähnliche Entwicklung.

Gelinde aufgeschreckt wurde die SPD offenbar auch von den Ergebnissen einer gleichzeitig veröffentlichten Befragung unter den jungen weiblichen Mitgliedern: Nach ihrem hochmotivierten Eintritt in die Partei beklagen die jungen Genossinnen nach relativ kurzer Zeit den Mangel an Einflußmöglichkeiten und sachlicher Diskussion, fühlen sich durch Parteienfilz und männliche Profilierungsneurose abgestoßen und ziehen sich vielfach zurück. Ähnliche Gefühle der Ohnmacht und Resignation teilten auch die Befragten in der Monitor-Umfrage mit. Das „Desinteresse“ der jungen Frauen ist deshalb, so läßt sich mit Feist und Wendt vermuten, weniger „natürlich“ als vielmehr erzeugt oder, anders gesagt: Hinter der Wahlverweigerung junger Frauen steht – übrigens ganz ähnlich wie beim anhaltenden ostdeutschen Gebär„boykott“ – eine bewußte Entscheidung.

Ob dieser Haltung allerdings mit einer „Demokratisierung“ der Parteistrukturen beizukommen ist, wie Susanne Koch in ihrer Untersuchung über die SPD anregt, und ob es sich überhaupt „nur“ um ein „Demokratieproblem“ handelt, scheint fraglich. Der Bundestagswahlkampf 1994 wird in einer für hiesige Verhältnisse bisher selten praktizierten Weise auf männliche Figuren hin personalisiert geführt, und die politische Ikonographie spricht mit der Identifikation von „Nation“ und „Mann“ eine eindeutige Sprache. Da gibt es einen Kanzler, der sich flächendeckend als nationale Vaterfigur inthronisiert. Der Unterschied zur (und das Debakel der) SPD besteht einzig darin, daß Scharping die ungeliebten Kombattanten Lafontaine und Schröder benötigt, um – sozusagen im schicksalhaften Söhnebündnis – das (politisch leere) Bild zu füllen.

Die von den Bündnisgrünen zelebrierte „Unübersichtlichkeit“ wird indessen von einem medial gefeierten, „übersichtsgewohnten“ Joschka Fischer konterkariert, der sich mitunter gebärdet wie der illegitime Sohn des bewußten Vaters, den es zu stürzen gilt. Und was den „Sonderfall“ PDS betrifft, so ließe sich darüber nachdenken, inwieweit ihr zweifellos „feminines“ (nicht: feministisches!) Image eine bewußt hergestellte (Selbst-)Identifikation mit dem „weiblichen“ Osten ist.

Der Zentrierung auf männliche Figuren entspricht die Konzentration des (männlichen) Blicks auf die Bedürfnisse der „Nation“ respektive ihrer „Europäisierung“, was kein Widerspruch ist. „Mann denkt global“, nicht so sehr im Hinblick auf eine generelle und problemorientierte Umverteilung, sondern eher, um sich irgendwie geartete „Partial“interessen vom Leib zu halten. „Deutschlands neue Rolle in der Welt“ besagt, daß die „vaterländische Nation“ die Definitionsmacht über Krieg und Frieden mit beansprucht: Und für die jungen Frauen bleibt, dies als „Männersache“ den „Experten“ zu überlassen oder sich an internationalen „Friedensmissionen“ zu beteiligen.

Globalisierung des Privaten

Die Veränderung der Arbeitsmärkte durch die Flexibilisierung der Arbeitskräfte heißt, daß etwa der oder die nun teilzeitarbeitende VW-ArbeiterIn je nach Auftragslage „Mobilität“ beweisen muß, nur daß das Risiko nun ganz auf die Arbeitnehmerseite abgewälzt wird und eine verbindliche Umverteilung der reproduktiven Arbeiten (auch) an den Unwägbarkeiten der Konjunktur scheitert; für die jungen Frauen bleibt zukünftig, die noch unsicherer gewordenen Verhältnisse auszubalancieren, unter der Maßgabe einer anspruchsvollen ökologischen Haus- und „Bevölkerungswirtschaft“, wie in Kairo kürzlich demonstriert.

Wer angesichts der beschworenen Megaprobleme der Nation da mit kleinlichen „Teilproblemen“ von Frauen und ihren Kindern daherkommt, muß feststellen, daß die frauenbewegte Formel, das Private sei politisch, sich durch die „Globalisierung des Privaten“ auf unheilvolle Weise gegen die Frauen gewendet hat: Jetzt ist die Arbeitskraft rund um die Uhr „mobil“ zu halten und der Nachwuchs per Gen-Screening auf seine Eignung zu überprüfen und das weibliche schlechte Gewissen auf die sorgfältige Abfallentsorgung zu eichen, und es gilt, sich noch für die rechtsradikalen Söhne verantwortlich zu fühlen.

Am Ende haben wir es beim Rückzug der jungen Frauen von den Ritualen der parlamentarischen Demokratie nicht nur mit einem Reflex auf deren verkrustete Strukturen zu tun, mit der Erfahrung, in diesen Politikformen nicht „bei sich“ zu sein. Aber statt in dieser bedingten Verabschiedung ein Zeichen stiller Gegenwehr wahr- und ernst zu nehmen, lamentiert man über das „politische Desinteresse“ der jungen Nichtwählerinnen an den selbstgewissen Konzepten der Politik und ihren Trägern. Als wären nicht diese gespenstisch. Ulrike Baureithel

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