piwik no script img

„Die CDU, das ist eine nette alte Partei“

■ Der italienische Publizist Angelo Bolafi über stabile und unstabile Parteiengefüge, Kanzler-Happenings und die Wahlchancen der SPD

Angelo Bolafi gehört zur Gruppe der 16 internationalen WahlkampfbeobachterInnen, die auf Einladung des DAAD dieser Tage durch Deutschland touren. Vorgestern abend sah sich die Gruppe einen Auftritt von Kanzler Kohl in der halbvollen Berliner Deutschlandhalle an. Die taz wird bis zum Wochenende täglich ein Kurzinterview veröffentlichen.

taz: Offensichtlich hat Sie das alles nicht besonders beeindruckt.

Angelo Bolafi: Den ersten Wahlkampf, den ich in Deutschland erlebte, war der von Willy Brandt 1972. Was waren die Leute da begeistert! Die CDU, das ist eine nette alte Partei. Diese Kanzler-Veranstaltung war doch verrückt: Da sitzen die Leute brav und klatschen, dazu ein bißchen blöde Musik. Am meisten bin ich aber von der SPD enttäuscht. Die Art, wie sie sich an Kohl abarbeitet, dieses „Kanzlerwechsel um jeden Preis“-Label ohne genaue Sinngebung ist nicht gut.

Kohl geht ziemlich derb mit der SPD um, indem er ständig die PDS-Frage stellt.

Mit diesem Argument hat bei uns aber leider Gottes Berlusconi die Wahlen gewonnen! Irgend etwas liegt in der Luft, dieser neue Antikommunismus trifft die ganze Linke. Alle wissen, daß die Gefahr nicht mehr real existiert. In diesen Zeiten der Ungewißheit und Herausforderungen hat man nun ein plakatives Dagegen.

Brauchen wir heute charismatische Figuren?

Die politische Demokratie braucht zweierlei: Themen und Persönlichkeiten. Ich würde nicht sagen, daß die Parteien nicht mehr nötig sind, aber sie haben nicht mehr die alte Sozialisationsfunktion. Die Leute finden andere Formen der Politisierung. Parteien, die keine Führungspersönlichkeiten haben, sind in großen Schwierigkeiten.

Das Parteiengefüge hier ist dennoch erstaunlich stabil.

Enzensberger sagte mir gestern, es sei eine Ironie der Geschichte, daß sich die Rollen geändert hätten: Die Deutschen wurden die Guten, die Italiener die Bösen. Es gibt eine radikale Destabilisierung der alten Parteienstrukturen, das sieht man in Italien, auch in Frankreich. Und es gibt eine Polarisierung, die derzeit immer nach rechts ausschlägt. Deutschland ist das Gegenbeispiel. Die Politikverdrossenheit war eine kurzlebige Erscheinung, diese StattPartei blieb „Statt“, und sogar die PDS ist eine traditionelle Interessenvertretung.

Und warum ist das hier so?

Wegen einer stabilen Währung, der Selbstbeschäftigung der Deutschen mit der Einigung und der Angst vor der Vergangenheit. Die deutsche Gesellschaft ist teilweise viel besser als ihre Politiker. Sie hat sich grundsätzlich verändert, verwestlicht. Insofern ist sie auch eine zivile Gesellschaft geworden.

Wie kann man dies politisch in eine konstruktive Zukunft führen?

Das kann meiner Meinung nach nur Aufgabe einer linken Partei sein. Eine solche Tugend hat Kohl nicht. Er wird wohl auch noch die nächsten Jahre regieren und die europäische Integration vorantreiben. Danach muß eine linke Partei diese Errungenschaften hüten.

Auch Sie vertrösten uns auf 1998!

Dann kommt Schröder und wird die Wahl gewinnen.

Mit oder ohne PDS?

PDS! PDS! Die SPD wird auf über 45 Prozent kommen. Interview: Andrea Seibel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen