piwik no script img

Wenn's bröckelt, klopfen!

Die Wachstumsgesellschaft kriselt, die Frauenbewegung schweigt. Dumm, denn gerade jetzt besteht die Chance, feministische Politik zu machen.  ■ Von Dörthe Jung

Das Hessische Fernsehen sendet eine mehrteilige Serie über die Entwicklung der neuen Frauenbewegung mit dem völlig antiquierten Titel „Aufbruch aus dem Puppenhaus“. In der Wochenzeitung Die Zeit erscheint auf prominenter Seite ein Artikel zur Situation der Frauenpolitik „nach 12 Jahren konservativ-liberaler Regierung“. Diese mediale Aufmerksamkeit kurz vor der Bundestagswahl mutet seltsam an. Wurde doch gerade von der journalistischen Zunft in den letzten Jahren immer wieder der Tod des Feminismus mitleidslos verkündet.

Dessen weitere Entwicklung wird vor allem davon abhängen, ob und wie die Frauenbewegung feministische Zukunftsimpulse in die Diskurse um globale und regionale Neuordnung einbringen und überzeugend vertreten kann. Derzeit ist die Situation komplex und paradox zugleich. Einerseits besteht in der bundesrepublikanischen Frauenbewegung eine so ausdifferenzierte frauenpolitische Infrastruktur wie noch nie. Andererseits wird frauenpolitisch auf den erhöhten gesellschaftlichen Problemdruck mit Sprachlosigkeit und effektlosen Ritualen reagiert, obwohl die vielbeschworene Krise durchaus auch eine Chance für feministische Reformen darstellt. Dafür bedarf es allerdings der Bereitschaft, feministische Politik einer Revision zu unterziehen. Denn feministische Zukunftsimpulse lassen sich nicht mehr aus den Politikmodellen der siebziger und achtziger Jahre allein entwickeln.

Insbesondere die Frauenpolitik der achtziger Jahre basierte zu großen Teilen auf Forderungen nach der Teilhabe am ökonomischen Zuwachs – das gilt für das Frauenprojekt wie für das Frauenministerium. Frauenpolitik war also selbst Teil des Wachstumsmodells, dessen Grundlagen gerade sichtbar wegzubrechen drohen. Eine dauerhafte Wachstumsperspektive gibt es nicht mehr. Erwerbsarbeit wird für immer weniger Menschen eine existenzsichernde Basis darstellen. Hier von Systemkrise zu sprechen, heißt wahrzunehmen, daß das System industrieller Arbeit insgesamt brüchig wird. Mit diesem Veränderungsstrudel, in den die industrielle Arbeitsgesellschaft hineingeraten ist, erhalten die in den achtziger Jahren geführten feministischen Diskussionen über Möglichkeiten und Instrumente zur Umverteilung von gesellschaftlicher Arbeit aktuelle Brisanz: Es besteht die historische Chance, den gesellschaftlichen Umbruchprozeß frauenpolitisch offensiv zu besetzen. Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Widersprüche und Machtverhältnisse könnten wir heute versuchen, die feministische Kritik am System industrieller Arbeit – an der alle Lebensbereiche bestimmenden Dominanz der Erwerbsarbeit, an der damit einhergehenden Uniformität von Leben und Arbeit, an der Spaltung von privater Arbeit und Erwerbsarbeit – in gesellschaftsverändernde Politik umzusetzen.

Zwar sind mittlerweile die verschiedensten Modelle von Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung selbst bis ins Lager ihrer größten und altgedientesten Kritiker, der Gewerkschaften, konsensfähig geworden; per se gesellschaftsverändernd sind diese Modelle unter dem Gesichtspunkt feministischer Reformanliegen aber nicht. Zwei Bedingungen sind dafür noch immer erforderlich: 1. Die wirkliche Umverteilung von Aufgaben, Pflichten und materiellen Ressourcen zwischen den Geschlechtern (Aufbrechen der geschlechtlichen Arbeitsteilung). 2. Ein gesellschaftlicher Diskurs über das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit, über die Notwendigkeit, die bestehende Hierarchisierung aufzubrechen und eine neue Balance zwischen unterschiedlichen Formen von gesellschaftlicher Arbeit auszuhandeln.

Selbst in den fortgeschrittensten Reformdiskussionen über die Notwendigkeit von Umverteilungsprozessen werden diese Bedingungen, die potentiell eine strukturelle Veränderung im Geschlechterverhältnis zur Folge haben, nicht thematisiert. Hier spielt die Sehnsucht eine Rolle, das Subjekt der industriellen Arbeitsgesellschaft, den männlichen Familienernährer, doch noch retten zu können. Den Finger auf die Wunde dieser patriarchalen Ausblendungen zu legen, ist eine originäre Aufgabe feministischer Politik. Darüber hinaus wird es um die Entwicklung von Modellen gehen, die die Verzahnung von Arbeitszeitverkürzungen (in den verschiedensten Varianten) mit einer Verantwortungsumverteilung zwischen den Geschlechtern ermöglichen. Gerade jetzt sind Kampagnen nötig, die die „institutionalisierte Verantwortungslosigkeit des Mannes“ (Barbara Holland-Cunz) öffentlich thematisieren. Das heißt, auch die wertkonservativ unterfütterte Debatte um Gemeinschafts- und Verantwortungsverlust und Individualisierung frauenpolitisch „umzulenken“.

Natürlich hat die „Verliebtheit“ ins System industrieller Arbeit durchaus nicht nur ein männliches Gesicht. Auch die westliche Frauenbewegung ist tief vom Mythos der Erwerbsarbeit durchdrungen. Der feministischen Politik ist es bislang nicht gelungen, die spezifische Ambivalenz von Freiheit/ Unabhängigkeit (in den letzten Jahren vor allem als materielle Unabhängigkeit diskutiert) und Abhängigkeit (vom Mann, vom Arbeitgeber, dem Sozialstaat, generell: in der Beziehung zu Menschen) politisch zu gestalten. Der sicher prinzipiellen Schwierigkeit, Ambivalenzen in Politik zu überführen, wurde über das klassische Muster der Abspaltung ausgewichen: Mal standen Verbesserungen für erwerbstätige Frauen im Zentrum der Politik, mal wurde der Situation von Müttern Vorrang in der politischen Programmatik eingeräumt. Vermutlich ist diese Schwachstelle feministischer Politik einer der Gründe dafür, daß wir uns bisher nicht wirklich in die öffentliche Debatte um den Sozialstaat eingemischt haben.

Dabei gibt es gute Gründe, die in der Bundesrepublik bestehende Konstruktion des Sozialstaates einer prinzipiellen Kritik zu unterziehen und politisch für eine Umstrukturierung zu votieren. Schließlich basiert die derzeitige Konstruktion auf wesentlichen Elementen traditioneller Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: Sie setzt die Erwerbsarbeit in der Norm männlicher (kontinuierlicher) Erwerbsbiographie und die Ehe als Versorgungsinstitut voraus und schaltet sich bei „Abweichung“ von diesen Normen ein. Gerade in diesen Zeiten möchte ich für den Mut plädieren, den sich weiter zuspitzenden Skandal zu politisieren: daß Frauen, die den größten Teil an Verantwortung für die Integration der Gesellschaft übernehmen, dafür auf den Status von „Klientinnen“ herabgewürdigt werden. Der in den Reformdiskussionen reklamierte Umbau des Sozialstaates gelingt aus feministischer Sicht nur, wenn seine paternalistische Konstruktion klaren Rechten weicht. Um soziale Rechte wird dann eine Debatte zu führen sein, in deren Zusammenhang auch die Diskussion um Grundrente gehört.

Viele Grundlagen des westlichen Feminismus sind revisionsbedürftig. Dabei geht es nicht um einen voraussetzungslosen Neuanfang, sondern um die Entwicklung einer Frauenpolitik, die den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen und dem gewachsenen Problemdruck politisch begegnen kann. Notwendig werden mehrdimensionale Ansätze, die Geschlechterdemokratie, Ökologie, Soziales, Entwicklung, Wirtschaft jeweils berücksichtigen und nicht die Hierarchie zwischen den Geschlechtern ins alleinige Zentrum der Analyse und Politik setzen. Wenn wir wirklich die Erosion der Arbeitsgesellschaft zu einer feministischen Reform umlenken wollen, dann werden wir verstärkt feministische Fragen in einem insgesamt breiteren Kontext von Reformansätzen einbinden müssen. Um einen „Ausbruch aus dem Puppenhaus“ geht es schon lange nicht mehr, sondern um die weitere Gestaltung von feministischer Politik, so daß sich die Gesellschaft nicht mehr länger den kreativen, sozialen und ökonomischen Energien der Frauen versperren kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen