: Die "Logik des Krieges" kehrt zurück
■ Weitet sich die irakisch-US-amerikanische Konfrontation an der Nordgrenze Kuwaits zu einem neuen Golfkrieg aus? US-Politiker sprechen vom "Präventivschlag" und wollen eine Sperrzone im Südirak
Berlin (taz) – „Wenn man eine solch große Militärstreitmacht an einem Ort konzentriert, muß man sie bewegen und einsetzen. Die Logik ist dieselbe wie 1991.“ So bewertet ein Diplomat am UNO- Hauptquartier in New York den US-amerikanischen Truppenaufbau am Golf. Insgesamt sind jetzt 63.500 US-Soldaten Richtung Kuwait unterwegs. Verglichen mit der halben Million, die die USA vor Ausbruch des letzten Golfkrieges im Januar 1991 in der Region konzentriert hatten, ist das noch wenig. Doch werden inzwischen weitere 155.000 US-Soldaten für einen möglichen Einsatz an der irakisch- kuwaitischen Grenze in Alarmbereitschaft gehalten.
Auf der Gegenseite steht eine irakische Streitmacht, deren Stärke keineswegs feststeht. Von 80.000 Soldaten, darunter viele Mitglieder der Elitetruppe „Republikanische Garde“, spricht das Weiße Haus. Das US-Verteidigungsministerium weiß von lediglich 14.000 Gardisten, die zur Verstärkung der ständig dort stationierten 30.000 irakischen Soldaten in den Südirak verlegt worden seien.
Die irakische Seite meldet seit Montag nacht den Wiederabzug dieser Truppe. Der Rückzug sei weitgehend abgeschlossen, sagte am Dienstag Außenminister Mohammad Said el-Sahaf. Die US- Seite dementiert das nicht direkt, mag aber auch nicht von einer Erfüllung ihrer Abzugsforderung sprechen. „Ich bin nicht bereit, zu sagen, daß die Krise in irgendeiner Art vorbei ist“, sagt Generalstabschef John Shalikashvili. Reporter im Südirak melden Truppenbewegungen in beide Richtungen. Die gibt es aber ohnehin immer.
Die völlig gegensätzlichen Einschätzungen der Tatsachen, die Konzentration auf Demonstrationen der Stärke und möglichst öffentliche Einschüchterung der Gegenseite – es ist dasselbe Muster wie in den fünf Monaten drôle de guerre nach der irakischen Besetzung Kuwaits im August 1990. Deren Winkelzüge hatte Frankreichs Präsident François Mitterrand schon früh als „Logik des Krieges“ bezeichnet – im Januar des Folgejahres mündeten sie in den Krieg. Heute geht es schneller: Die Krise ist nur wenige Tage alt, und schon soll Bill Clinton einen Erstschlag gegen den Irak erwägen. „Wir reden definitiv von einem Präventivschlag“, sagt die UNO-Botschafterin der USA, Madeleine Albright. Das wäre, behauptet sie, von den UNO-Resolutionen gedeckt, da „die Iraker mit ihren feindlichen Aktionen den Waffenstillstand gebrochen haben“.
Man erinnere sich: Es gab 1991, nach dem Sieg der Golfkriegsalliierten über den Irak, keinen Friedensvertrag. Es gab eine irakische Kapitulation und ein von den Siegern diktiertes Waffenstillstandsabkommen, dessen extrem weitreichende Bedingungen – wie die Kontrolle der irakischen Rüstungsindustrie – mit einem bis heute andauernden UNO-Embargo erzwungen werden. Die mögliche Aufhebung dieses UNO- Embargos hätte Ergebnis eines positiven Berichts des UNO-Beauftragten für die irakische Abrüstung, Ralf Ekeus, sein können, der eigentlich am Montag dem Sicherheitsrat vorgelegt werden sollte. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Im Gegenteil: Wenn jetzt hohe US-Diplomaten den Waffenstillstand für gebrochen erklären – dann ist auf dem Papier der Kriegszustand wiederhergestellt. Wobei sich die Streitpunkte, entsprechend der verringerten Stärke des Irak, inzwischen verschoben haben. Es geht nicht mehr um Kuwait, sondern um Südirak. Nach der Kapitulation des Irak 1991 hatten US-Politiker bereits gefordert, den von alliierten Truppen besetzten Süden des Irak zur Sperrzone zu erklären. US-Militärs, allen voran der legendäre General Schwarzkopf, setzten sich gegen diesen Wunsch durch – unter anderem wegen ihrer Sorge um ein Auseinanderfallen des von kurdischen und schiitischen Aufständen bedrohten irakischen Staates. Bis heute existieren lediglich ein zehn Kilometer breiter entmilitarisierter Grenzstreifen und eine Flugverbotszone südlich des 32. Breitengrades, in der irakische Bodentruppen die schiitischen Aufständischen niederwerfen durften. Während dies wenig internationale Aufmerksamkeit erregte, gilt jetzt die angebliche Bedrohung Kuwaits offenbar als Grund, das irakische Militär aus dem Südirak verbannen zu wollen. „Eine neue Linie muß in den Sand gemalt werden in bezug auf jegliche irakische Bodentruppe, die eine Bedrohung für Kuwait darstellt“, fordert Kuwaits Informationsminister Scheich as-Sabah.
Ist die kriegerische Entwicklung noch aufzuhalten? Der schon einmal durchgespielte Countdown läuft: Die USA denken an ein UNO-Ultimatum und danach an Luftangriffe. Nur die Suche nach Verbündeten könnte heute schwierig sein. Frankreich, das 1991 mitkämpfte, hat wissen lassen, daß die irakischen Truppenbewegungen seiner Meinung nach keine UNO-Resolutionen verletzen. Und während alle Welt von der irakischen Bedrohung spricht, hat das Institut für Strategische Studien (IISS) gestern in seinem neuen Jahresbericht auf einen ganz anderen nahöstlichen Krisenherd hingewiesen: Die beiden größten Aufrüster der Region, heißt es, seien die Arabischen Emirate und Iran, die sich beide kräftig mit Massenvernichtungswaffen eindeckten. Sie streiten sich zufällig auch schon seit Jahren auf bisher rein diplomatischen Wegen um eine Inselgruppe im Golf. D.J.
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