: Aus dem Operntiefschlaf erwacht
■ Ein anregender und anrührender „Rigoletto“ zur Spielzeiteröffung im Bremerhavener Stadttheater: Intendant Grisebach läßt den Narren im italienischen Faschismus spielen
Wenn dieser Auftakt programmatisch war, dann ist Bremerhavens Stadttheater endlich aus einem mehrjährigen Tiefschlaf aufgewacht. Mit der Opernpremiere zur Spielzeit Eröffnung - Verdis „Rigoletto“ in italienischer Sprache - lieferte der neue Intendant Peter Grisebach seine Visitenkarte ab. Standing ovations und rauschender Beifall am Schluß war die Antwort des Publikums im ausverkauften Großen Haus auf Grisebachs Inszenierung, die ganz auf die beiden überwältigenden Gast-Stimmen des Rigoletto und seiner Tochter Gilda konzentriert war.
Boris Trajanov macht mit seinem voluminösen und geschmeidigen Bariton den puren Schmerz hörbar, die Tiefen und Höhen, die ängstliche Liebe und den rasenden Zorn des gebeutelten und gehandicapten Hofnarren. Dilbers lyrischer Koloratursopran gibt Rigolettos schöner Tochter Gilda eine Wärme und einen zarten Glanz, die ihre große Arie „Caro nome“ (Teurer Name) zu einem der frühen und meist bejubelten Höhepunkte des Abends werden läßt. Peter Grisebach verlegt die Handlung der Oper vom 16. in die 2oer Jahre des 2o. Jahrhunderts, in die Anfangsjahre des italienischen Faschismus. Die Eingangs-Szene im Palast des Herzogs von Mantua ist düster, seine schwarz befrackten und schwarzuniformierten Hofschranzen bewegen sich überaus steif zwischen dekorativen Art-Deco-Wänden, leicht geschürzte Damen fallen ihnen in die Arme, Rigoletto sitzt in einem grell gefiederten, fahrbaren Korsett. Er ist ein Vogel ohne Flügel, ein Mensch, der nicht auf den eigenen Beinen stehen kann. Darin, und nicht im üblichen Buckel, sieht Grisebach dessen Behinderung. In einer eindrucksvollen Zwischenszene - die Bühne wird bei offenem Vorhang gedreht - zieht Rigoletto sich die Kleider des armen Mannes über und greift zu den Krücken, mit denen er zu Gildas Behausung humpelt. Die ist ein Verschlag, von hohen Gittern umgeben. Der Wink ist eindeutig und zu dick: Rigoletto hält seine Tochter im Käfig der erdrückenden väterlichen Liebe. Vor dem frivolen Herzog kann er sie nicht schützen, denn der hat sich schon in ihr Herz eingeschlichen. Michael Putsch weiß, daß er kein Pavarotti ist, die Arie „La donna e mobile“ (Oh, wie so trügerisch) singt er deshalb zurückgenommen wie ein fernes Zitat.
Grisebachs Inszenierung kommt mit schlichten Bildern aus (Bühne: Christopher Hewitt). Er konzentriert sich auf Rigoletto als Opfer einer herrischen Gesellschaft und auf Gilda als Opfer des einen wie des anderen Mannes. Er verläßt sich auf Verdis Musik und auf die Kraft der beiden Protagonisten, die in Bremerhavens Musentempel etwas hineintragen, was es seit Jahren nicht mehr gegeben hat: Das Gefühl, man habe wirklich etwas außerordentliches erlebt. Auch das Orchester unter der Leitung von Leo Plettner und die andren Solisten lassen sich davon anstecken. Hans Happel
Nächste Vorstellungen: 16., 23., 23.,29. Oktober
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