piwik no script img

Reden wir über Straßenecken

Huch, hat hier ein Umzug stattgefunden? Ist das Schaufenster pornographisch? 25 KünstlerInnen aus aller Welt haben in Frankfurt/M. Kunst gut sichtbar im Straßenleben versteckt.  ■ Von Martin Pesch

Es heißt, Frankfurt am Main sei eine Ansammlung verfeindeter Stadtteile und deshalb unregierbar. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Auf jeden Fall hat jeder Stadtteil so etwas wie ein Zentrum. Das Zentrum von Bockenheim ist die Leipziger Straße. Sie beginnt gegenüber der Uni und führt in nordwestlicher Richtung in die Tiefen dieses Stadtteils. Wenn man nicht aufpaßt, kann es passieren, daß man sich in Ginnheim wiederfindet oder im Niemandsland, hinter dem Hausen beginnt.

Seit einigen Jahren fährt unter der kopfsreingepflasterten Leipziger eine U-Bahn, während oben ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb herrscht, in dem alteingesessene Geschäfte verlieren und Banken, Kosmetik- und Klamottenketten gewinnen. Trotzdem hat die Leipziger noch immer das, was man ein Gesicht nennt. Gegen den schreienden Gemüseverkäufer können die Designlampen und gegen das Autonomencafé kann die Ladenpassage nicht anstinken. Wenn man nach dem Gemeinsamen in dieser Widerständigkeit sucht, gelangt man allerdings schnell zum Multikultikokolores, der sich bei Straßenfesten auslebt, während sich vorne Ex-Jugoslawen bekriegen und hinten Antifaschisten von Skins was aufs Maul kriegen.

Zur Zeit ist die Leipziger Straße Ort einer Ausstellung „zeitgenössischer Kunst im Alltag einer Straße“. Veranstaltet hat die Schau eine Gruppe von StudentInnen der Kunstgeschichte. Auf der Straße, in den Geschäften, der U-Bahn-Station und einer etwas abseits gelegenen Kirche haben 25 KünstlerInnen aus Großbritannien, Spanien, Italien, den USA und Deutschland ihre Werke präsentiert. Das nötige Geld haben die VeranstalterInnen aus unterschiedlichen Quellen geschöpft; einige ansässige Geschäftsleute waren hilfsbereit, und die Stadt schoß aus dem 1200-Jahr-Feier-Topf auch noch etwas bei.

Kunst im öffentlichen Raum leidet immer darunter, daß die einen, die KünstlerInnen, meist ganz viel wollen und die anderen, die potentiellen Rezipienten, das heißt die normalen Leute, überhaupt nichts. „by the way“ reiht sich in die seit einiger Zeit wieder gepflegte Tradition der interventionistischen Kunstpräsentation ein, das heißt, die Werke repräsentieren nicht den öffentlichen Raum als solchen, sondern sie setzen sich mit ihrem Ort und der Situation der Menschen an diesem Ort auseinander. Die Kunst wird Teil dies Lebens in der Leipziger, Kommunikation das Zauberwort.

In den meisten Arbeiten wird die Verzahnung am Ort der Kunst direkt vorgenommen. Die Wäscheleinenverspannung von Jan Gelhaar (Frankfurt) zum Beispiel verbindet zwei schräg gegenüberliegende Häuser. Sie betont einerseits den über den Läden liegenden Wohnbereich der Straße und weist andererseits auf den Nutzen wie den Schrecken sozialer Kontrolle hin. Auf die versteckten Verbindungen und Kommunikationsnetze macht die Arbeit von Anxo Baranga und Elvira Fortuny (Barcelona) aufmerksam. Eine ein Meter tiefe Ausschachtung sollte die Leitungen freilegen, durch die Menschen, die nichts voneinander wissen, miteinander verbunden sind. Diese Arbeit wurde nicht genehmigt, ein schwarz getünchtes Rechteck an einer Straßenecke nimmt ihren Platz ein. Die in dieser Arbeit anklingende Befragung der Trennung „öffentlich/privat“ nimmt Andrew Mackenzie (London) auf. Er plazierte ein TV-Gerät im Glockenturm einer Kirche, die etwa 80 Meter abseits der Leipziger steht, von ihr aus aber betrachtet werden kann. Der Fernseher leuchtet scheinbar sinnlos vor sich hin, weist aber in den Abendstunden auf die vorherrschende Freizeitgestaltung der Bewohner hin und fungiert gleichzeitig wie ein Wachauge, das die Straße im Blick hat.

Andere Arbeiten thematisieren die Kunst im Verhältnis zum auf dieser Straße praktizierten Konsum. Peter Rösel (Frankfurt) läßt bedruckte Einkaufstüten in Umlauf bringen, Patricia London Ante Paris (München) bietet ihre Bilder in den Geschäften und Kaufhäusern feil. Das Feilbieten ist das Thema einer sehr schönen Woolworth-Schaufensterinstallation von Boris Lietzow (Düsseldorf): In eine früher in Geschäften benutzte Chippendale-Vitrine sind zwei nach oben gerichtete TV-Geräte eingelassen; der an Kosmetik- oder Miederwerbung erinnernde Film wird von zwei Spiegeln nach außen gelenkt. Man steht also draußen und betrachtet ein Projektionsverfahren, wie es in Pornovideo-Einzelkabinen benutzt wird.

Noch schöner als diese Arbeit war die von Kevin Slavin (New York): In einer Nacht kurz vor Ausstellungsbeginn ließ er in einer „diskreten Stunde“ Abfallmaterial über die Straße verteilen, so daß am nächsten Tag der Eindruck entstand, es hätte ein Umzug stattgefunden. Aufgeregt fragten die Leute nach, was Sache ist. Inzwischen sind die Spuren längst beseitigt, die Arbeit ist vollständig verschwunden. Sie existiert nur noch als Erzählung. Kommunikation pur.

„by the way. Zeitgenössische Kunst im Alltag“. Leipziger Straße, Frankfurt/M. Katalog im Büro Leipziger Straße 9

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen