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In Würde erstarrt

■ Das polnische Parlament ermahnt Präsident Walesa scharf, sich an die Verfassung und demokratische Regeln zu halten

Warschau (taz) – „Die Aktivitäten des Präsidenten verletzen den Grundsatz einer apolitischen Armee und der Unabhängigkeit des Landesfernsehrats und destabilisieren die Verfassungsordnung. Der Sejm akzeptiert diese rechtswidrigen Entscheidungen nicht und erwartet vom Präsidenten als dem Hüter der Verfassung, daß er Handlungen einstellt, die zu einer Staatskrise führen können.“ Mit dieser ungewöhnlich scharfen Erklärung stellte sich am Mittwoch abend Polens Parlament mit 305 von 345 Stimmen gegen Präsident Lech Walesa. Einzelne Abgeordnete gingen noch weiter: Sie drohten Walesa mit einem förmlichen Impeachment-Verfahren vor dem Staatstribunal. Das Wort vom „Putsch Walesas“ ging um.

Angefangen hatte alles am 7. Oktober, bei einem denkwürdigen Mittagessen auf dem Manövergelände von Drawsko Pomorskie bei Szczecin. Da saß eine erlesene – und nicht ganz zufriedene – Runde beisammen: die 12 Generäle des polnischen Generalstabs, Militärbischof Slawoj-Glodz, Verteidigungsminister Kolodziejscyk und Präsident Walesa (letzterer im Kampfanzug). Die Generäle waren unzufrieden mit den Politikern, die von Jahr zu Jahr das Militärbudget ärger zusammenstreichen. Und Walesa war unzufrieden mit seinem Verteidigungsminister, der sich weigerte, ihm den Generalstab direkt zu unterstellen.

Also fragte Walesa die anwesenden Generäle, was sie denn so von ihrem Vorgesetzten hielten. Bis auf zwei sprachen sich alle für den Rücktritt des Ministers aus, worauf Walesa mehrfach und zuletzt sogar schriftlich Admiral Kolodziejczyk, den er vor einem Jahr selbst in Amt und Würden gehievt hatte, zum Rücktritt aufforderte.

Der Admiral ergriff die Flucht nach vorne und machte den Konflikt öffentlich. Wenige Tage später enthüllte die Warschauer Tageszeitung Zycie Warszawy die Ereignisse von Drawsko auf der Titelseite. Ein Sturm der Entrüstung seitens der Presse und der Politiker ging durchs Land, und seit Dienstag beschäftigt sich nun der Verteidigungsausschuß des Parlaments mit der Frage, ob in Drawsko der Generalstab mit dem Segen Walesas gegen den Verteidigungsminister geputscht habe.

Seitdem steht Walesa als derjenige da, der versucht hat, die Armee in die Politik zu ziehen und die Generäle gegen die Regierung aufzuhetzen. Und Polens regierende exkommunistische Sozialdemokraten sehen die einmalige Chance, Walesa als Bedrohung für die Demokratie darzustellen – und sich selbst als deren Verteidiger. Zugute kommt ihnen dabei noch, daß Walesa kurz zuvor rechtswidrig zwei ihm unliebsame Mitglieder des Landesfernsehrats abberufen hatte und auf Kritik nahezu aller Parteien gestoßen war.

Die Generalsaffäre brachte nun das Faß zum Überlaufen, gerade in der oppositionellen Freiheitsunion, Partei der linken und liberalen Solidarność-Intellektuellen und Walesa-Berater von einst, die trotz aller Kritik den Draht zum Präsidenten nie gekappt hat.

Die Nachricht, die Freiheitsunion habe erstmals seit 1989 im Parlament eine Resolution eingebracht, in der Präsident Walesa vorgeworfen wird, den Staat zu destabilisieren, verbreitete sich in Warschau wie ein Lauffeuer.

Am Mittwoch um 14 Uhr erschien Walesa dann selbst vor den Abgeordneten der Fraktion zu einer Diskussion. Professor Geremek, ebenfalls früherer Berater Walesas und heute Fraktionschef der Partei, verwandelte die Debatte in ein Scherbengericht im engsten Familienkreis. Ein prominenter Gefolgsmann Walesas aus früheren Zeiten nach dem anderen trat ans Mikrofon. Tadeusz Mazowiecki: „Ich war Ihr Gegner, Herr Präsident, nie Ihr Feind. Mit der herrschenden exkommunistischen Regierung verbindet uns nichts. Aber heute frage ich mich, ob nicht Sie die größere Gefahr für die Demokratie geworden sind.“

Donald Tusk, Chef der Liberalen, knüpfte an Walesas beliebte Taktik an, bei Mißerfolgen Premierminister und Minister als „Stoßdämpfer“ zu opfern: „In diesem Saal hier sitzen viele Ihrer Stoßdämpfer. Wir haben lange zu Ihnen gehalten. Aber heute, scheint mir, machen Sie die Verfassung, die Demokratie und die Wähler zu Stoßdämpfern.“ Immer wieder sah sich Walesa, der sich nur mit Mühe zurückhielt, mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe als oberster Hüter der Verfassung gegen geltendes Recht und die Verfassungsordnung verstoßen.

Walesas Verteidigungsrede ist eine chaotische Aneinanderreihung von Bekenntnissen guten Willens, vorgetragen in volkstümlichem, vieldeutigem und wenig grammatikalischem Polnisch: Er habe alles nur gut gemeint, sei aber hintergangen worden. „Das hatte mit Politik nichts zu tun, das war eine Sache von menschlichen Schwächen, Krankheiten und Ambitionen, und ich wollte das hinter den Kulissen lösen. Als sich gezeigt hat, daß das nicht möglich ist, habe ich den Verteidigungsminister um Rücktritt gebeten.“ Der habe das auch zugesagt, sei aber statt dessen an die Öffentlichkeit gegangen.

Davon, daß er nach der Verfassung gar nicht das Recht hatte, den Minister zum Rücktritt zu veranlassen und die Generäle gegen ihn aufzuwiegeln, verlor Walesa kein Wort. Walesas frühere Berater reden wie gegen eine Wand. „Wir haben nicht zehn Jahre gekämpft, um jetzt alles danach zu beurteilen, welcher Kumpel welchen Posten kriegt“, erboste sich Wladyslaw Frasyniuk, zu kommunistischen Zeiten Walesas bestes Pferd in Schlesien.

Die Spannung im Saal steigt. Vor Walesas Tisch knien einige Mädchen vom Radio, die Walesa Diktiergeräte vor die Nase halten. Mancher fühlt sich an die Zeiten erinnert, als Walesa noch Oppositioneller war, der sich nächtelang mit seinen Mitkämpfern um den richtigen Weg streiten mußte. Heute ist er ein in vierschrötiger Würde erstarrter Patriarch, dem es schwer fällt, einzusehen, daß es überhaupt jemanden gibt, vor dem er sich rechtfertigen muß. Doch ab und zu zeigen sich dünne Stellen in der Elefantenhaut, die ihn vor Zweifeln schützt: „Janusz“, wendet er sich an Ex-Verteidigungsminister Onyszkiewicz, „weißt du noch, gegen dich haben sie auch intrigiert. Aber ich habe zu dir gehalten.“ Onyszkiewicz schüttelt verständnislos den Kopf.

Auf einmal wird klar: Was für die Intellektuellen im Saal Verfassung, Demokratie, Gesetze sind, reduziert sich für den Staatschef gewordenen Werftarbeiter auf so schlichte Werte wie Vertrauen, Freundschaft und Loyalität. Verteidigungsminister Kolodziejczyk habe ihm versprochen, zurückzutreten, und er habe sein Versprechen nicht gehalten. Alles andere, Verfassung, Gewaltenteilung, Politik, ist unwichtig geworden. Das sei Sache, nichts anderes, wiederholt Walesa immer wieder, und immer wieder löst er unwilliges Gemurmel im Saal damit aus. Manche blicken vor sich auf den Tisch, als sei ihnen das Spektakel peinlich. Als er den Saal verläßt, gibt es keinen Beifall.

Für die Abgeordneten in ihren Bänken verläuft die Trennungslinie nicht mehr zwischen Kommunisten und Antikommunisten, sondern zwischen den Anhängern der Demokratie und denen, die sie bedrohen. Und auf der anderen Seite des Grabens stehen Walesa und seine Generäle. Klaus Bachmann

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