16. Oktober – na und?! Die Große Koalition haben wir doch längst...

■ Was ändert sich für Hamburg, wenn Rudolf Kohl und Helmut Scharping die Plätze wechseln? Die taz hat sich umgehört

„Ändern?! Für Hamburg?!“ Jürgen Mantell (SPD), Chefplaner in der Stadtentwicklungsbehörde, guckt den Fragesteller erstaunt an, legt die Stirn kurz in Falten und resümiert: „Nee, bei uns nicht. Wir arbeiten weiter.“ Ingrid Nümann-Seidewinkel, Chefin des Bezirks Eimsbüttel, schaltet schneller: „Transrapid.“ Der soll zwar nicht durch Eimsbüttel fahren, wird aber unter einem Verkehrsminister Schröder nicht gebaut.

Die Suche nach möglichen Hamburger Auswirkungen der Bundestagswahl gestaltet sich mühsam. Wo man in der Verwaltung auch horcht – nirgendwo liegen rot-grüne Reformprojekte auf Eis, die nur auf den Kanzlerwechsel warten. „Im Gegenteil“, so meint Waltraud Menzel, beim DGB-Nordmark für Wirtschaftspolitik zuständig, „in Hamburg wären bestimmt einige sauer, wenn der Scharping in Bonn wenigstens ein bißchen rumtobt.“

Wohl wahr: Voscheraus Regierungsapparat hat sich mit dem gegenwärtigen Bonner Regime prima eingerichtet. „Die Große Koalition“, lästert ein Mitarbeiter der Senatskanzlei, „haben wird doch längst.“ Kohl segnet Voscheraus Großprojekte und muß zudem dank der SPD-Mehrheit im Bundesrat SPD-Länderinteressen streng beachten. Elbvertiefung, Elbtunnelröhre, Hafenerweiterung, Transrapid – Hennings Herzenssachen – sind bei Kohl in weit besseren Händen als bei Voscheraugegner Gerhard Schröder. Selbst die böseste CDU-Drohung Richtung Sozialstaat, die Forderung nach Sozialhilfekürzungen, käme Hamburg überaus zupaß. Hamburg zahlt mittlerweile zwei Milliarden Mark Sozialhilfe im Jahr, könnte etat-technisch Absenkungen gut gebrauchen.

Rolf Fritsch, Chef der Hamburger ÖTV, meint denn auch: „Vielleicht würde eine Regierung Scharping wenigstens den Reformdruck auf die Hamburger Verwaltung erhöhen. Hier passiert ja im Moment nichts.“ Fritsch zittert dennoch: „Für die Gewerkschaften wird die Ära Kohl langsam zum Debakel. Uns geht die Luft aus.“ Scharping als Sauerstoff für die Gewerkschaften – für Fritsch „eine existentielle Frage“. Inzwischen ist Jürgen Mantell doch noch etwas eingefallen: „Gelder für die Stadtsanierung.“ Eine Scharping-Regierung würde die unter der CDU fast ausschließlich nach Osten umgeleiteten Gelder für Stadtsanierung aufstocken. Hamburg hätte dann mehr Geld für die Stadtreparatur.

Früher einmal angestellte Spekulationen, im Falle von Ampel oder Rot-Grün in Bonn könne immerhin die Hamburger Regierungskoalition einen Farbenwechsel vornehmen, haben inzwischen keinerlei Substanz mehr. Henning Voscherau hat sein politisches Überleben so eng an Markus Wegner gekoppelt, „daß“, so ein Insider, „sein Spielraum gleich Null“ ist. Einzige, wenngleich eher theoretische Variante: Voscherau wechselt als Minister ins Kabinett Scharping. Aber selbst dann kann die Wegner-Garde wohl ruhig schlafen. Unter den SPD-Senatoren herrscht schrille Begeisterung über die willfährigen Statt-Regierungshelfer. Eugen Wagner zum Beispiel jubelte kürzlich in kleinem Kreis: „Wenn ich da an die FDP-Koalition denke. Jeden Donnerstag Koalitionsausschuß.“

Der Hamburger Regierungsgemütlichkeit droht dennoch Gefahr. Ein wachsender Kreis von Spitzengenossen fürchtet mittlerweile, die SPD werde in Hamburg „gehörig was auf die Mütze“ bekommen. „Die Wahlkreise Wandsbek, Nord und Altona sind wohl verloren“, kalkuliert ein Mitglied des Landesvorstandes und rechnet, „im Gegensatz zu unserem guten Bundestrend“, mit einem Prozentergebnis von „40 minus X“ an der Elbe. Enttäuschung über die Hamburger Regierungsbildung, Bürgerzorn wg. Polizei, Müllverbrennungsanlage, Straßennamenwillkür und Sparattacken hätten sich, so meinen nicht wenige Sozis, zu einem gefährlichen Cocktail zusammengebraut. „Der ist aber hausgemacht.“ Einer verspricht gar: „Dann fliegen die Fetzen.“ Wahrscheinlicher freilich, so kontern politische Beobachter, wäre eine Reaktion Voscheraus nach Kohlscher Art: „Na und?!“

Florian Marten