Identität der Türken in Berlin wird stärker

■ Deutsche Kurdenpolitik verschärft den Streit zwischen Türken und Kurden

„In Deutschland wird eine Politik gemacht, die die Kluft zwischen Türken und Kurden vertieft“, stellt der türkische Sozialdemokrat Ahmet Iyidirli fest. Wenn sich das nicht ändert, könnte es auch in Berlin zu Vorfällen wie in Augsburg kommen. Dort hatten vor einigen Tagen türkische Nationalisten eine kurdische Hochzeit überfallen. Dabei kam ein Mann ums Leben, einer wurde schwer verletzt. Der Überfall war offenbar die Vergeltung für einen Angriff kurdischer Jugendlicher auf eine türkische Diskothek.

Zu Gewalttätigkeiten ist es in Berlin bislang glücklicherweise nicht gekommen, doch auf Schulhöfen gibt es immer öfter Streitereien zwischen kurdischen und türkischen Jugendlichen. „Bis jetzt sind das nur Wortgefechte“, meint ein anderer türkischer Beobachter. „Aber es besteht die Gefahr, daß sich das weiter zuspitzt.“

Nicht nur die kurdisch-türkischen, auch die türkisch-deutschen Beziehungen sind durch die Kurdendebatte strapaziert. Enttäuscht sind die Türken vor allem von der Haltung der Sozialdemokraten. „Die SPD war immer wie eine gute Tante. Die Immigranten dachten, die mögen uns, die wollen etwas für uns tun“, analysiert Ceyhun Kara. Daß der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping von Völkermord an den Kurden in der Türkei gesprochen hat, habe Reaktionen von „Unmut bis Wut“ hervorgerufen. Türkische Zeitungen hatten Scharping prompt als „Separatisten“ bezeichnet. Auch Iyidirli hält Scharpings Äußerung für einen großen Fehler. „Das ist nicht Völkermord, sondern Unterdrückung“, korrigiert er und fordert, daß die fehlenden demokratischen Möglichkeiten in der Türkei thematisiert werden müßten. Mit der Demokratisierung würde sich auch die Lage der Kurden verbessern, meinen türkische Sozialdemokraten.

Auch der Einsatz der SPD gegen die Abschiebung von PKK- Aktivisten nach den Krawallen zum kurdischen Neujahrsfest kam bei der türkischen Bevölkerung nicht gut an. „Für die türkischen Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind und wegen Straftaten abgeschoben werden sollen, hat sich niemand engagiert“, bemängelt Iyidirli.

Verbitterung herrscht bei der türkischen Bevölkerung auch nach den Brandanschlägen auf Reisebüros, Banken und Imbißbuden, die zum Teil auf das Konto der PKK gehen. „Die Leute sind davon direkt betroffen, und es ist der Eindruck entstanden, daß nicht mit genügender Entschiedenheit gegen die PKK vorgegangen wird“, so Iyidirli. „Man muß zwei Dinge trennen: die Kurdenfrage in der Türkei und die Kurdenpolitik in der Bundesrepublik“, sagt er. Kurdenpolitik müsse endlich als Innenpolitik begriffen werden.

Die SPD hat mit ihrem Protest gegen eine militärische Lösung der Kurdenfrage einen empfindlichen Nerv getroffen. In der türkischen Öffentlichkeit wird das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen im Südosten des Landes meist mit dem Eintreten für einen Kurdenstaat gleichgesetzt. Daher rührt die Kritik der SPD nach dem Verständnis vieler Türken direkt an die kemalistische Staatsdoktrin der Unteilbarkeit der Nation. Auf Widerspruch stoßen die Genossen aber auch bei ihren türkischen Mitgliedern. In einem internen Papier wird die SPD aufgefordert, sich deutlicher von der Gewaltanwendung der PKK zu distanzieren.

Ceyhun Kara erlebte in letzter Zeit auch häufiger, daß seine deutschen Mitbürger das Thema zur eigenen Entlastung einsetzen. Diskutiere man über Brandanschläge auf Türken, würden Deutsche plötzlich kontern, daß in der Türkei Kurden verfolgt werden. „Das ist falsch“, sagt Kara gelassen, „das kann man weder vergleichen noch aufrechnen.“

Die physische Bedrohung der letzten Jahre hat den Rückzug auf eine türkische Identität noch verstärkt. Ein Beobachter prophezeit wenig erfreut: „Wenn das so weiter geht, wird sich noch eine Türkenpartei als Interessenvertretung gründen.“ Dorothee Winden