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Nachschlag

■ BE: Gert Voss

Mit ausladenden und federnden Schritten kommt er schnell auf die Mitte der Bühne und räkelt sich in Positur. Eine Welle durchläuft seinen Körper, dann steht er da, mit vorgeschobener Hüfte, hängenden Schultern und erhobenem Kopf. Er schiebt die Unterlippe vor, bläst die Backen auf, rollt die Augen. Und wenn er spricht, skandiert er die Worte und nuschelt gleichzeitig ein wenig, schnell und etwas heiser. Gert Voss ist vielleicht der größte Chargeur auf deutschsprachigen Bühnen, und doch: Selbst wenn er den Wetterbericht deklamieren würde, wäre man ergriffen und müßte an die Figur des Jay in Taboris „Goldberg Variationen“ denken, an Shakespeares Othello, Richard den III., Shylock oder eben Antonius. Denn Gert Voss spielt alles in der gleichen Haltung des Gottversuchers: Aus einem elementaren Lebenszweifel heraus gehen seine Figuren aufs Ganze. Sie sind unmäßig: gewalttätig, unberechenbar, narzißtisch, skrupellos, dann wieder schamlos kindlich. Als Sieger sind sie Zyniker, Niederlagen werden ihnen zum Sieg: das Leben ist nicht lebenswert, was zu beweisen war – jede Rolle eine Faust-Variation.

Wenn der Römer Marc Anton in Shakespeares „Antonius und Cleopatra“ aus Liebe zur ägyptischen Königin (Eva Mattes) die Schlacht gegen Cäsars Truppen trotz Gewinnchancen verloren gibt, wenn er mit seiner Kriegerehre das Lebensrecht verwirkt glaubt, dann schreitet Gert Voss in Zadeks Inszenierung mit ausgebreiteten Armen in den Bühnenhintergrund: Märtyrer und Held in einem – er ist Spieler, wer ist mehr?

Gert Voss' Zeit am Berliner Ensemble war ein kurzes Vergnügen. Er spielt im „Kaufmann von Venedig“ und jetzt auch in „Antonius und Cleopatra“, zwei Zadek-Inszenierungen, die aus Wien nach Berlin kamen, letztere als Koproduktion, die Premiere war im Mai. Mittlerweile hat Voss schon die Rückkehr nach Wien angekündigt, und so traurig das ist – im BE ist er tatsächlich ein wenn auch herrlicher Fremdkörper. Wenn Hermann Beyer in seiner präzisen und trockenen Art neben ihm auf der Bühne steht, dann diskreditiert Voss den Analytiker mit einer einzigen Armbewegung als Schulmeister. Das ist unfair und spiegelt genau, wie wenig die BE-Direktion generell das Ganze im Blick hat. Ach ja: „Antonius und Cleopatra“, dies mühsame Spätwerk Shakespeares, dauert in Zadeks mühsamer Regie vier Stunden. Petra Kohse

Foto: David Baltzer/Sequenz

Morgen, 20./21./24./27./28.10., 19 Uhr, BE, Bertolt-Brecht- Platz

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