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Ethnographie des Auslands

Viel Palaver um Begriffe bei der Premiere der Weltmusikmesse Womex im Berliner Haus der Kulturen  ■ Von Andreas Becker

So hat doch alles seine guten Seiten: Die Hauptstadt Berlin hat seit kurzem eine „Multi Kulti“-Radiowelle, weil die Übergriffe auf Ausländer überhand genommen haben. Zynisch, aber wahr, das geben sogar die Radiomacher zu: Der rechte Intendant des SFB, Günther von Lojewski, und sein Rundfunkrat konnten nicht anders, als SFB 4 „Multi Kulti“ in ihr Programm aufzunehmen. Sonst hätte man ihnen womöglich vorgeworfen, „nichts getan“ zu haben. Jetzt sendet „Multi Kulti“, allerdings mit sehr schwacher Reichweite, die nicht einmal ganz Berlin umfaßt, mit einem Minietat und auf zwei Jahre begrenzt.

Doch nicht nur als Gegenreaktion auf den anschwellenden Bocksgesang des Nationalismus in Europa nimmt die Verbreitung von Musiken aus anderen Kontinenten und Kulturen zu. Die neue Berliner Radiowelle ist ein Mosaiksteinchen im scheinbar immer größer werdenden Netz der „Weltmusik“-Unternehmungen.

Um diese vor allem europäische Bewegung einmal im Jahr messetechnisch vorzustellen, fand in der letzten Woche in Berlin zum ersten Mal die „Womex“ statt, die „World Music Expo“. Ihr Vorgänger waren die World Wide Music Days, eine Veranstaltung im Rahmen der kürzlich sang- und klanglos verstorbenen BID (Berlin Independence Days).

In ihrem Gründungsjahr beschäftigte sich die Womex vor allem mit Problemen der Selbstdefinition. Der Begriff „Weltmusik“ ist als Label eingeführt – das ist aber auch schon alles. Theoretische Umrisse besitzt er kaum. In diversen Diskussionen mit Weltmusik-Berufenen aus aller Welt tat man in dieser Hinsicht sein Bestes. Auf der Konferenz „Xenophobia & World Music“ erzählte Johannes Theurer (Mitorganisator der Womex und Musikchef bei SFB 4 Multi Kulti) seine Variante der Begriffsfindungshistorie: Bei schlechtem Wetter saßen zwölf Leute in London im Pub zusammen und überlegten, wie man Musik, die man nicht im europäischen Plattenhandel bekommt, in Afrika aber an jeder Imbißbude, in die Regale der Läden einschmuggeln könnte.

Ein Label mußte her, denn unter Pop, Jazz oder Country wollte kein Händler Oumou Sangare aus Mali verkaufen. Plötzlich muß dann jemand in dem Pub etwas von „World Music“ geflüstert haben – und fertig war das Etikett für etwas, das es „eigentlich“ gar nicht gibt – jedenfalls nicht als internationale Realität: Weltmusik.

So ist ein portugiesischer Teilnehmer der Xenophobie-Runde denn auch entsetzt, weil er eine Jazzsängerin aus Portugal in einem hiesigen Musikgeschäft unter „Weltmusik“ gefunden hat. Im Berliner Fachladen „Canzone“ hat man umgekehrt das Problem, was mit Platten zu tun ist, die absolut nicht unter Weltmusik fallen wollen: Leute wie Laurie Anderson oder Meredith Monk oder Hermann Van Veen sind dort im Fach „Neu und/oder angesagt“ einsortiert.

Wie man in den Plattenhandel gelangt, ohne seine Seele zu verkaufen, trieb auch einen afrikanischen Teilnehmer der Diskussion, den zur Zeit in Berlin wohnenden Gitarristen Jean-Paul Bourelly um: „Soll ich mir etwa Stäbchen ins Gesicht bohren, um auf dem Plattencover auszusehen, wie es erwartet wird?“

Besonders neu sind diese Einlassungen nicht – auch im Rahmen der BID wurde immer mal wieder um einen Begriff von „Weltmusik“ gerungen. Und leider bot auch Womex zum zentralen Punkt eher Palaver als Streit: Bestätigen wir durch die Benutzung des Labels „Weltmusik“ nicht eher Vorurteile, als daß wir sie bekämpfen? Wenn alles, was nicht direkt vor der Haustür geschieht, etikettiert, ausgepreist und in ein und dasselbe Fach gestellt wird – nicht nur im Laden, sondern natürlich auch im Kopf – befördert das nicht gerade eine Ghettoisierung der „Minderheiten“? Im Stil der siebziger Jahre, auch auch ein wenig im Sinne des flauschigen Sponti-Images von „Weltmusik“, wurde dieser Komplex eher gefühlsmäßig weiterdiskutiert – selbstredend ohne Ergebnis.

Vielleicht hätte Baaba Maal helfen können, der, als einer der vielen „Geheimtips“ im musikalischen Begleitprogramm, in seinem Solokonzert am Freitag abend einen offenbar notwendigen Gemeinplatz ins Gedächtnis gerufen hatte: es ginge, sagte er, immer noch um die Ausbeutung Afrikas, um Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus. Und natürlich geht es immer auch um eine black history, die von Weißen geschrieben wurde.

Ist „Weltmusik“ also einfach die Musik der Unterdrückten und Ausgebeuteten? So konsequent – und auch so plakativ – mochte man sich in den diversen Diskussionsrunden dann doch nicht zeigen. Immerhin hätte ein politischer Begriff von „Weltmusik“ den Vorteil, daß auch das Inland zur musikalischen Ethnographie freigegeben wäre: Überall europäische Eingeborene, deren teils durchaus exotische Sounds sich einsammeln lassen.

Auch nach der Womex bleibt „Weltmusik“ ein vager Oberbegriff für Musik, die sich kommerziell nicht durchsetzen konnte – und wenn sich nicht sehr viel tut, wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern.

Immerhin – ein Schritt zur internationalen Perspektive – soll die Womex zukünftig jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfinden. Demnächst in Addis Abeba? Oder in Helsinki? Oder in Johannesburg? Oder vielleicht auch in den USA?

In der dortigen Weltmusikprovinz jedenfalls, so erzählte ein Konferenzteilnehmer, sei während der Fußballweltmeisterschaft viel mehr „Weltmusik“ als sonst in amerikanischen Städten präsentiert worden. Weil die Amis Fußball so schön exotisch finden.

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