: Es war der Fuchs, nicht der Minister
Vor seiner Wohnungstür wurde der 83jährige Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfus niedergestochen / Attentat radikaler Islamisten? / Täter angeblich gefaßt ■ Aus Kairo Karim El-Ghawary
Es hat schon bessere Tage gesehen – das Casino Qasr Nil, die stadtbekannte Adresse an den Ufern des großen Flusses inmitten Kairos. Die roten Plastiksessel im Stil der fünfziger Jahre wirken abgewetzt. Auf die gleichfarbigen Tischdecken hat sich eine zarte Staubschicht gelegt. Das ganze Innere macht einen eher morbiden Eindruck. Friedlich schlagen die Wellen des Nil gegen die kleine Ummauerung. Im Hintergrund ist das Rauschen der Autoschlangen zu hören, die sich über eine der Nilbrücken den Weg bahnen.
„Hier sitzt er normalerweise“, erzählt der kleine Polaroid-Fotograf des Casinos, Abdel Nabi, mit einem fast mystischen Unterton und deutet auf eines der bonbonfarbenen Sitz-Relikte. Jeden Freitagnachmittag stellt sich der ägyptische Schriftsteller und Nobelpreisträger Nagib Mahfus hier seinem Publikum. Dann redet Mahfus mit Kollegen und allen, die an dem Literatursalon teilnehmen möchten, über Gott und die Welt, über die Krise der arabischen Kultur, über Islam, Politik und über die zunehmende Militanz der ägyptischen Gesellschaft.
Letzten Freitag sollte der Sitz des alten Mannes der ägyptischen Schreiberzunft leer bleiben. Als er auf dem Weg zu seinem wöchentlichen Rendezvous seine Wohnung verließ, wurde er unmittelbar vor seinem Haus niedergestochen. Zweimal stieß der Täter ein Messer in die rechte Nackenseite des 83jährigen Schriftstellers, dann flüchtete er in einem gelben Mercedes in Richtung der Kairoer Außenbezirke.
Der zuckerkranke Mahfus wurde schwer blutend ins nächste Krankenhaus gebracht. Für Stunden befand sich der Nobelpreisträger in Lebensgefahr, mehr als 15 Liter Blut mußten ihm neu zugeführt werden. Dann hatten die Ärzte den Tod vorläufig besiegt. Mahfus' Zustand hat sich nach ihrer Auskunft inzwischen stabilisiert. Während eines Krankenbesuches der Ministerriege machte der blasse alte Mann im ägyptischen Fernsehen bereits wieder seine ersten Witze.
Obwohl sich bisher niemand für den Anschlag verantwortlich erklärt hat, wird der Täter in den Kreisen der militanten Islamisten vermutet. Nach Angaben des Innenministerium sei der Täter zusammen mit sechs Komplizen inzwischen gefaßt worden. Bei der Festnahme habe es einen Verletzten und einen Toten gegeben. In ganz Ägypten fanden Razzien statt. Bei einer von ihnen wurde auch einer der meistgesuchten Anführer der islamistischen Gruppe Dschamaa Islamija getötet. Bisher hat das Innenministerium keine Beweise für eine Verbindung dieser Gruppe zu dem Anschlag vorgelegt.
Seit fünf Jahren stand der Schriftsteller auf der Todesliste der militanten Islamisten. „Wäre das Urteil, das gegen Salman Rushdie ausgesprochen wurde, schon früher gegen Nagib Mahfus angewendet worden, es wäre eine Lektion gewesen, die Salman Rushdie beachtet hätte“, lies Omar Abdel Rahman, eines der spirituellen Oberhäupter der Militanten, aus seinem amerikanischen Exil verlauten.
Mahfus ist nicht der erste Schriftsteller, auf den in Kairo ein Anschlag verübt wurde. Vor zwei Jahren wurde der Islamistenkritiker Farag Foda ebenfalls vor seiner Haustür im Osten Kairos niedergeschossen. Er ist das bisher einzige intellektuelle Todesopfer religiöser Gewalt im Land geblieben.
Doch der prominente Mahfus stand im Gegensatz zu Foda nicht in der vordersten Front der ägyptischen Debatte um Islamisierung oder Säkularisierung der Gesellschaft. Zwar hatte er sich oft gegen die Militanz ausgesprochen, gleichzeitig gehört er aber zu den wenigen, die davon überzeugt sind, daß den Militanten nicht allein mit eiserner Faust und Waffengewalt begegnet werden könne.
Die eigentliche Kontroverse zwischen dem religiösen Establishment und Mahfus liegt dreißig Jahre zurück. Mit seinem Roman „Awlad Haratna – Kinder unserer Gasse“, der 1959 als Serie in der ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram abgedruckt wurde, hatte Mahfus die Scheichs der islamischen Azhar-Universität gegen sich aufgebracht. In dem Epos beschreibt er die Entwicklung der Menschheit von der Erschaffung über die Propheten bis in die heutige Zeit. Symbolisch läßt er die Menschheitsgeschichte in einer kleinen Gasse in der Altstadt Kairos sich abspielen. Seine Hauptcharaktere Jabalawi, Idris, Adham, Jabal, Rif'a, Qasim und Arfa symbolisierten Gott, Satan, Adam, Moses, Jesus, Muhammad und die moderne Wissenschaft.
Die Azhar entdeckte „blasphemische Züge“ in dem Roman und sah die Würde der Propheten verletzt. Der Kern der Kontroverse: Mahfus' symbolischer Roman war entweder zu nahe an der koranischen Offenbarungsgeschichte oder zu weit davon entfernt.
Mahfus selbst sah seinen Roman eher als Fabel. „Wenn ich in einer Geschichte schreibe, daß der Fuchs im Abfall herumstochert, wäre es dann richtig zu sagen, daß es in Wirklichkeit der Minister ist? Natürlich nicht. Es ist der Fuchs, der im Abfall wühlt“, ließ Mahfus in einem Interview verlauten. Doch seine Argumente blieben ungehört, der Roman wurde auf den Index gesetzt und bis heute in Ägypten nicht in Buchform veröffentlicht.
Trotz der verbalen Angriffe der Islamisten glaubte Mahfus nie daran, daß er selbst Opfer eines Anschlages werden könnte. Mehrere Versuche der Regierung, dem prominentesten Schriftsteller der arabischen Welt einen Leibwächter zur Seite zu stellen, wurden von Mahfus vehement abgeblockt. Er wolle leben wie ein normaler Mensch, argumentierte er.
„Mahfus ist ein so bescheidener und friedlicher Mann, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Warum ausgerechnet er?“ Abdel Nabi, der kleine Polaroid-Fotograf im dahinsiechenden Casino am Nil, schüttelt noch Stunden nach dem Anschlag immerzu den Kopf.
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