: Kohl am Anfang vom Ende
■ Hauchdünne Mehrheit für die bisherige Koalition / Grüne und PDS wieder im Bundestag
Berlin (taz) – Diesmal hat die Union noch gewonnen. Mit 41,6 Prozent der Stimmen lag die CDU/CSU nach Hochrechnungen deutlich vor der SPD, die es auf 36,6 Prozent brachte. Die Union hat verloren: 42 Prozent ist das schlechteste Wahlergebnis seit 1949. Aller Wahrscheinlichkeit nach bleibt es aber bei der bisherigen Koalition – wenn auch mit äußerst knappen Mehrheiten. Denn die FDP wird erneut im Bundestag vertreten sein – sie erhielt 6,9 Prozent. Das könnte erneut für eine christlich-liberale Koalition reichen – obwohl die PDS in den Bundestag einziehen wird. Nach den Hochrechnungen würden Union und FDP zusammen 330 Mandate im Bundestag erhalten, SPD, Grüne und PDS dagegen 326. Die Grünen sind auf jeden Fall wieder da. Sie erreichten 6,9 Prozent.
Bundeskanzler Kohl feierte das Ergebnis als Sieg und kündigte eine Fortsetzung der Koalition mit der FDP an. „Dies ist eine durchaus regierungsfähige Mehrheit, und mit der will ich die Koalition fortsetzen.“ 1976 habe die SPD-FDP-Regierung unter Helmut Schmidt nur zehn Mandate Vorsprung gehabt und sei noch jahrelang an der Macht geblieben. So wolle es die Koalition jetzt auch machen: „Das wird schwierig – aber so ist das Leben!“
Rudolf Scharping, dessen SPD um 3,1 Prozent zulegte, prognostizierte dagegen, daß die Regierung noch in dieser Legislaturperiode „in Schwierigkeiten“ kommen werde. „Es spricht manches dafür, daß wir das Wahlziel diesmal nicht erreichen. Doch ich bin sicher, wir erreichen es allerspätestens 1998“, sagte Scharping. Für den SPD-Troikaner Gerhard Schröder „steht fest, daß man Deutschland mit so einer lächerlichen Mehrheit nicht regieren kann“. Joschka Fischer von den Bündnisgrünen prophezeite, die Koalition werde die Legislaturperiode nicht überstehen. „Ich bin ganz happy“, so der Beinahe-Bundesminister über die Rückkehr der West-Grünen in den Bundestag. „Wir werden Kohl jagen“, versprach Vorstandssprecher Ludger Volmer.
Obwohl die PDS bundesweit nur etwa vier Prozent der Stimmen erhielt – im Osten waren es knapp 20 –, wird die Partei in den Bundestag einziehen. In Ostberlin konnten die PDS-Kandidaten Gregor Gysi, Christa Luft, Manfred Müller und Stefan Heym Direktmandate holen. Dadurch ist die Fünfprozentklausel aufgehoben, und die PDS zieht mit voraussichtlich 29 Mandaten im Bundestag ein. Gregor Gysi erklärte den Wiedereinzug der PDS zu einer „wirklich historischen Leistung“. Darauf könne man schon „ein bißchen stolz“ sein. Man würde auch eine rot- grüne Koalition tolerieren. In Berlin-Mitte konnte sich der unabhängige PDS-Kandidat Heym gegen den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse durchsetzen.
FDP-Chef Klaus Kinkel sah das Ergebnis für seine Partei als „Vorschuß“ der Wähler, als „Chance, die nun genutzt werden muß“. Sichtlich erleichtert sagte er: „Ich bin froh, daß sich mein Kurs durchgesetzt hat.“ Die FDP, so erste Analysen, wurde allerdings mehrheitlich von CDU- Anhängern gewählt – profitierte also trotz fehlender Zweitstimmenkampagne der Union von den christlichen Leihstimmen. Angesprochen auf den Verlust von 3,2 Prozent sagte Kinkel: „Ich verfalle hier nicht in Euphorie. Wir haben die Signale erkannt.“ Die CSU will aus dem schwachen Ergebnis der FDP Kapital schlagen. „Das Gewicht der CSU ist angesichts des Abschneidens der FDP in Bonn gewachsen.“ Die CSU kam bundesweit gerechnet auf 7,2 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag bei nur 78,1 Prozent – nur 0,3 Prozent mehr als bei den Wahlen vor vier Jahren. klh
Tagesthema Seiten 2 und 3
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