: Nichts ist unmöglich für die SPD
Große Koalition, Minderheitsregierung mit Duldung durch die PDS oder Duldung einer CDU-Regierung? / SPD zeigt sich verwirrt über die Fülle ihrer Möglichkeiten ■ Aus Schwerin Christoph Seils
„Mecklenburg-Vorpommern ist ein tiefrotes Land“, frohlockte der Sprecher der SPD- Landtagsfraktion, Thomas Freund. „Solche Verhältnisse gab es hier ja noch nicht einmal in der Weimarer Republik.“ Doch mit dem Zusammenrechnen der eigenen Prozente (29,5) mit denen der PDS (22,7) ist Mecklenburg-Vorpommerns SPD vorläufig mit ihrem Latein am Ende; mit ihrer linken Konkurrenz, der PDS, haben die Sozialdemokraten bekanntermaßen ihre Schwierigkeiten.
Die SPD steckt in Schwerin in der Zwickmühle. Die CDU (37,7 Prozent) fühlt sich mit einem Verlust von nur 0,5 Prozent der Stimmen als Sieger der Wahl und würde die SPD gerne als Juniorpartner mit ins Schweriner Regierungsboot nehmen. Doch die Sozialdemokraten verweisen darauf, daß schließlich die bisherige Regierung abgewählt wurde, da die FDP (3,9 Prozent) aus dem Landtag kippte. Außerdem stimme die „Chemie“ nicht zwischen Ministerpräsident Seite und Herausforder Ringstorff, so heißt es im Landtag. Tief sitzt bei vielen Sozialdemokraten auch noch die Erinnerung, daß die CDU 1990 nur die Regierung übernehmen konnte, weil sie einen SPD-Abgeordneten zum Fraktionswechsel bewegt hatte. Aber auch der SPD ist der Partner für die Kopie des Magdeburger Modells abhanden gekommen, denn Bündnis 90/ Grüne scheiterten mit 3,7 Prozent an der Fünfprozenthürde.
„Was tun?“ fragt sich SPD-Spitzenkandidat Harald Ringstorff und ließ am Montag die Telefone heißlaufen. Vor einer Sitzung der Parteigremien am Abend wollte er sich jedoch nicht mehr äußern. Noch in der Wahlnacht hatte Ringstorff weder eine Koalition mit der CDU – „Wenn die Regierungspolitik eine klare sozialdemokratische Handschrift trägt“ – noch eine Tolerierung durch die PDS ausgeschlossen. Das Dilemma der SPD ist groß. Ginge sie als kleinerer Partner in eine Große Koalition, würde die PDS als einzige verbliebene Oppositionspartei weiter aufgewertet. Offenbar neigt Harald Ringstorff dazu, sich auf eine Tolerierung durch die PDS einzulassen. Pressesprecher Freund sucht in den Worten von Geschäftsführer Günter Verheugen schon mal nach den Zwischentönen, denn dieser hatte in einem Rundfunkinterview nur aus „Bonner Sicht“ davon abgeraten, sich von der PDS tolerieren zu lassen. Aber es scheint offen, ob sich die SPD-Fraktion im neuen Schweriner Landtag auf diesen Kurs einschwören läßt. Ringstorffs Stellvertreter Peter Kauffhold hält die PDS als politischen Partner weiter für unakzeptabel.
Angekreidet wird dem SPD- Spitzenkandidaten von seinen Parteifreunden auch, daß er in Parchim nicht das Direktmandat gegen die CDU-Kultusministerin Steffie Schnoor errungen hat.
Selbstbewußt und zufrieden präsentierte sich die PDS. Wenn die SPD, so der parlamentarische Geschäftsführer der PDS, Arnold Schoenenburg, eine „andere Politik“ wolle, dann müsse sie sich auf eine Tolerierung durch die PDS einlassen. „Wir warten darauf, daß die SPD ihren Klärungsprozeß vollzieht.“ Auf ihre neue Rolle als möglichen Mehrheitsbeschaffer hat sich die PDS bereits eingestellt. Schoenenburg hat sofort einige Punkte parat, in denen sich die Landespolitik verändern müsse. Doch die Forderungen der PDS nach einer neuen Wirtschaftsstrukturpolitik, nach aktiver Förderung des einheimischen Mittelstandes oder nach einer Wende in der Bildungspolitik sind so allgemein und flexibel, daß daran eine Tolerierung kaum scheitern dürfte. Der Verantwortung für das Land Mecklenburg-Vorpommern will sich die PDS nicht entziehen, auch wenn ihr die Rolle der Opposition, so Schoenenburg, lieber sei. Als Oppositionspartei könne man weiter die Finger in die „Wunden der Regierungspolitik“ legen.
Bei Bündnis 90/Die Grünen brach schon in der Wahlnacht Streit um die politische Verantwortung für das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl aus. Der Parteispitze warfen viele Mitglieder vor, sie habe es nicht verstanden, sich landespolitisch zu profilieren. Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Gisela Jacobs, machte den auf die Küstenautobahn zugespitzten Wahlkampf der CDU für das schlechte Ergebnis der Bündnisgrünen verantwortlich. Entlang der geplanten Strecke ist das Abschneiden von Bündnis 90/Grünen, die sich im Wahlkampf als Gegner dieser Autobahn ausgesprochen hatten, besonders schlecht. Der Landessprecher Heiko Lietz mutmaßte, der CDU sei es erfolgreich gelungen, die ökologische Politik der Grünen als Aufschwungverhinderung zu brandmarken.
In den Gängen des Landtages wurden am Montag alle denkbaren Modelle für eine Regierungsbildung gehandelt, etwa eine Tolerierung der CDU durch die SPD oder selbst eine Große Koalition unter Führung der SPD. Am 9. November konstituiert sich der Landtag. Bis dahin muß die SPD wissen, was sie will.
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