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Die rot-grüne Debatte ist out

■ Seit Beginn des Wahljahres analysierten die Politologen Claus Leggewie und Joachim Raschke abwechselnd für uns die Wahlen. Zum Abschluß haben wir beide gebeten, Stellung zu nehmen.

Die Logik des Wahlergebnisses führt weg von Rot- Grün, sie zeigt in Richtung Große Koalition. SPD und Bündnisgrüne kommen auf 43,7 Prozent. Das verringert zwar die Differenz zu den bürgerlichen Parteien von 17,5 Prozent (1990) auf 4,6 Prozent, das euphorische Rechnen der Wahlnacht beruhte aber auf dem rechnerischen Ergebnis der Nichtregierungsparteien, dem keine politische Basis entsprach. Kein arithmetischer, aber ein politischer Rechenfehler. Diese unredliche Rechenweise gehört zur SPD-Inszenierung, die einer Großen Koalition mitten in der Legislaturperiode – Ideal und altes Vorbild der SPD-Führung – vorausgeht. Eine konstruktive Mehrheit liegt für die dreifach gespaltene Opposition in weiter Ferne.

Die SPD hat das damals enttäuschende Rau-Niveau von 1987 wieder erreicht. Die 33,5 Prozent im Einheitsjahr waren für die Partei ein Betriebsunfall, sie ist wieder die stabile Partei in den oberen 30er Prozenten, die sie auch in den achtziger Jahren war, nicht mehr, nicht weniger. Rechnet man bei der CDU/CSU die an die FDP ausgeliehenen Stimmen dazu, beträgt der Abstand zwischen CDU und SPD etwa 9 Prozent. Die SPD wurde als soziales Korrektiv bestätigt, der Bundesrat wird zum Betriebsrat, die Bundesrepublik zum mitbestimmten Unternehmen.

Die SPD ist keine Blockadepartei, sie wird ihre Ländermacht kooperativ einsetzen. Oft genug ist eine sozialdemokratische Parteistrategie über den Bundesrat daran gescheitert, daß die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten im Zweifelsfalle ihr Landes- über das Parteiinteresse stellten.

An der Grundkonstellation hat sich nichts geändert. Der Machtwechsel geht über die Große Koalition oder über Rot-Grün mit PDS-Tolerierung. Die wirkliche Regierung heißt Vermittlungsausschuß. Er ist die Vorstufe zu einem Vizekanzler Scharping.

Eine PDS-Debatte läßt sich nicht mehr aufschieben. Gelingt es nicht, sie neu als Regionalpartei vernachlässigter Interessen zu definieren, die sich dem Reformlager zur Unterstützung anbietet, wird man vielleicht ein Jahrzehnt damit leben müssen, ihre 3 bis 4 Prozent vom Saldo der Reformstimmen abzuziehen.

Das Parteiensystem ist labiler geworden. FDP und PDS sind unsichere Kantonisten. Strategien, die mit ihnen rechnen, stehen auf wackligen Beinen. Die PDS wird die Vergangenheits- und Zukunftsbewältigung wegschieben, weil sie auch ohne sie erfolgreich war, wird die Stabilisierung ihrer ostdeutschen Unzufriedenheitsbasis betreiben, aber auch bundespolitisch mitmischen. Am größten sind die strategischen Probleme für SPD, Bündnisgrüne und FDP.

Scharping wird den Stimmenzuwachs der SPD auf seine Mitte- Strategie zurückführen. Über den Bundesrat, der über die anstehende Neuordnung der Finanzen, über Spar-, Steuer- und Sozialpolitik mitbestimmt, wächst die SPD in eine Große Koalition hinein. Noch weniger als bisher wird sie die Neigung verspüren, ein rot-grünes Projekt vorzubereiten. Gleichzeitig werden sich die innerparteilichen Kontroversen verstärken, weil sich für die AnhängerInnen von Rot-Grün die PDS-Frage in neuem Licht darstellt.

Die Grünen können von der jetzigen FDP nicht mehr viel holen, sie müssen sich um die grünen Sozialdemokraten bemühen, und sie müssen, so schwer es ihnen fällt, Klarheit in der PDS-Frage gewinnen. Der Osten polarisiert sich zwischen zwei Lagern, die Bündnisgrünen werden dazwischen zerrieben. Falsche Themen, schwache Milieus, undeutliche Erscheinungsbilder – eine Generaldebatte wird zeigen müssen, wie (Stimmen-)Markt und (Befreiungs-)Moral in ein neues Gleichgewicht gebracht werden können.

Eine rot-grüne Debatte wie bisher ist out. Mit 7 Prozent und der Hälfte der SPD ist ein Aufbruch nicht zu organisieren. Warten auf Godot ist einen Abend lang interessant, aber weitere vier Jahre auf die SPD warten, das ist unattraktiv. Im Osten gräbt die PDS den Bündnisgrünen das Wasser ab, im Westen blockiert sie Rot-Grün. Die Grünen stehen zwischen der auf Regierungsbeteiligung drängenden SPD und der oppositionsgenügsamen PDS. Sie konkurrieren mit beiden, sie werden nur mit Glück und Geschick werden die Balance halten. Ihr Hauptthema bleibt die SPD. Dort ist immer noch die größte Zahl von Rot- Grün-Anhängern gebunden. Die Rot-Grün-Wanderung in Zeiten verdeckter oder offener Großkoalition zu organisieren bleibt das Hauptziel der Grünen. Die große Koalition ist der Umweg, den das rot-grüne Projekt auch noch ertragen muß. Die Grünen verfügen über ein Hinterland, das sie nicht wirklich nutzen: die kritischen Professionen und Teilöffentlichkeiten. Neben die parlamentarische müßte eine gesellschaftliche Strategie treten: die Reaktivierung dieser Basis durch die „professionelle Rahmenpartei“. Da die FDP sich dauerhaft nicht auf die motivlose Unterstützung durch christdemokratische WählerInnen verlassen kann, werden die Kräfte in der Partei gestärkt, die versuchen, dieser Phantompartei noch einmal eine eigene Identität zu verschaffen. Der Wählerauftrag für die bürgerlichen Parteien heißt aber: Weiter so und Problemverschiebung. Das Dilemma ist unlösbar, die FPD wird auf Konjunktur, Zufall und milde Gaben für Besserverdienende angewiesen sein.

Insgesamt wachsen die Tendenzen des Offenhaltens und abnehmender Verbindlichkeit. Ihre ungewissen Optionen werden die Parteien hinter einer Scheinpolitik verbergen, die suggeriert, sie wüßten, wie es weitergeht. Hinter dieser Fassade liegt der harte Kern einer sozialpolitisch leicht korrigierten, im übrigen aggressiven Wachstumspolitik, getragen von SPDU, und es wächst der Problemberg. Joachim Raschke

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