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Anschlag „ganz spontan“

■ Stadtamt-Brandanschlag vom April vor Gericht / Anklage auf Mordversuch

Erst sniefte Zahar A. zwei Nasen Kokain, dann füllte er an der Tankstelle einen Kanister Benzin ab und radelte zum Stadtamt. Dort ging er gezielt zur Abteilung, in der Gaststättenkonzessionen erteilt werden. Er fragte nach einer Mitarbeiterin, sah sie und im nächsten Augenblick schüttete er das mitgebrachte Benzin um sich. Die MitarbeiterInnen konnten flüchten, dann stand plötzlich alles in Flammen.

Was nach einem Krimi-Drehbuch klingt, hat sich am 31. März dieses Jahres so oder so ähnlich im Bremer Stadtamt abgespielt. Seit gestern ist die II. Große Strafkammer mit der Wahrheitsfindung beschäftigt. Die Anklage lautet auf Mordversuch.

„Das hat sich alles spontan ergeben“, sagte der Armenier Zahar A. . Für die Gaststätte seines Vaters sei nach mehreren Anfragen vom Stadtamt keine Konzession erteilt worden war. Am Vormittag des 31. März telefonierte er mit dem Anwalt seines Vaters. Als er schon wieder nichts Positives hörte, ging er los. Zahar A. fühlte sich seiner Familie gegenüber verantwortlich. Das Stadtamt habe seinem Vater gesagt, er, der Sohn, sei Schuld am Verlust der Konzession. Für Zaher A. war die Sache klasr: Hinter alldem steckte die Polizei. Die habe der Behörde gesteckt, daß er „unerwünscht“ sei. Der Grund: Der Drogenfahnder mit dem Decknamen „Theo“ habe ihn mehrfach gefragt, ob er für ihn als V-Mann arbeiten könne. Er habe abgelehnt, die Nichterteilung der Konzession sei das Resultat eines Komplotts. „Erst wenn ich Bremen verlasse, dann würde die Familie wieder ein Konzession bekommen“, hätten die Beamten seinen Eltern gegenüber geäußert, sagt Zahar A. Die Kneipe steht leer, bringe keine Einnahmen, und sein Vater habe keine Rente.

Zahar A. hatte den Eindruck, durch Reden nicht weiterzukommen. „Ich wollte die Aufmerksamkeit der Herrschaften erregen. Aber das war nicht die feine englische Art“, räumte er nüchtern ein. Er habe auch nicht die Absicht gehabt, Menschenleben zu gefährden.

Das sehen die betroffenen Bediensteten anders. Zahar A. will das Benzin keinesfalls über die Verwaltungsangestellten Silvia R. und Sabine R. gegossen haben. Doch gestern sagte zunächst Sabine R. aus, daß er auf sie gezielt habe. Wie genau, das zeigte die noch immer sichtlich mitgenommene Sabine R. mit einem dicken Buch als Kanister-Ersatz: „Er hat mit Schwung ausgeholt“, sagte sie, und hielt das Buch in Höhe des Oberkörpers. Ihr sei klar, daß er das Benzin nicht nur über den Schreibtisch schütten wollte, erklärte sie mit stockender Stimme. Als sie den Saal verließ, gingen zwei auffallend bullige Männer mit hinaus: Ihr Personenschutz. Schon vor dem Vorfall habe die Frau Drohungen erhalten, sagte der Vertreter der Nebenklage.

Um die Sache zu verarbeiten, hat Sabine R. eine Psychotherapie gemacht. Sie arbeitet noch immer im Stadtamt, doch inzwischen gibt es eine Videoüberwachung zur Sicherheit der Bediensteten. Rudolf K. hat auch in der Gaststättenabteilung gearbeitet. Seit dem Anschlag ist er arbeitsunfähig. Als er gestern als Zeuge vernommen wurde zitterte er am ganzen Körper. Dennoch nahm er die Entschuldigung des Angeklagten an. Er sei wegen eines Aktenvorgangs ins Zimmer gekommen, schilderte er. „Dann sah ich, wie eine Person eine Flüssigkeit auf den Schreibtisch von Frau R. schüttete.“ Er habe versucht, den Mann zu bremsen, doch Zahar A. habe ihn gegen den Schrank gedrückt. „Dann muß ich dich auch anstecken“, habe er gesagt. Anschließend habe er ihm Benzin über den Kopf geschüttet.

Richterin Hilke Robrecht versucht das Ereignis mit großer Einfühlsamkeit gegenüber den nervösen Zeugen minutiös zu rekonstruieren. Weitere Zeugen und ein Gutachter sollen in den weiteren Verhandlungstagen für mehr Klarheit sorgen. Vivianne Schnurbusch

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