: Prager poetische Phantasien
■ Die Autorin und Exilgefährtin von Egon Erwin Kisch, Lenka Reinová, liest heute im tschechischen Zentrum aus ihren bislang unveröffentlichten Memoiren
Sie hat den Willen einer Eisernen Lady, den Charme einer Pretty Woman und den Meinungsfrohsinn eines Golden Girls. Diese allzu seltene Melange hat die Autorin Lenka Reinerová zu einer interessanten Geschichtenerzählering gemacht. Die 78jährige Pragerin, Exil-Gefährtin von Egon Erwin Kisch, liest heute im tschechischen Zentrum bisher unveröffentlichte Memoiren.
Ein persönlicher Traum: Lenka Reinerová sitzt in einem klassischen Kaffeehaus mit alten Freunden. Jaroslav Hašek gehört dazu und natürlich Franz Kafka. Erinnerungen an eine untergegangene Kultur sollen wach werden. Damals saßen die Literaten und Künstler in dem zauberhaften Kaffeehausambiente, hielten sich gegenseitig von der Arbeit ab, holten sich gleichzeitig Inspirationen für poetische und malerische Ausbrüche. Doch die Tradition existiert an der Moldau nicht mehr. Wo die wahre Bohème einst tagte, schreiben heute weitgereiste Touristen im Schatten der McDonald's- Buden eilig ihre Ansichtskarten.
Lenka Reinerová ist eine der wenigen noch lebenden ZeitzeugInnen. Schon kurz nach dem Abitur, im Alter von 19 Jahren, tummelte sie sich im Kreis deutschsprachiger Exilschriftsteller. 1939 emigrierte sie nach Frankreich und lebte im Pariser „Maison de la culture tchécoslovaque“. Nach Kriegsausbruch wurde sie dort mit weiteren Bewohnern verhaftet: Reinerová saß im Gefängnis La Petite Roquette und anschließend im Frauenlager Riebucros.
Nicht zuletzt der Rasende Reporter Egon Erwin Kisch setzte sich für sie ein: Ein Visum und ein Schiffsticket brachten sie nach Mexiko. Reinerová schrieb für das Freie Deutschland und arbeitete für den Heinrich-Heine-Club. 1948 kehrte sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Theodor Balk, in die Tschechoslowakei zurück.
Lange hatte sie den Posten als Chefredakteurin der Zeitschrift Im Herzen Europas inne. In Publikationen wie beispielsweise „Es begann in der Melantrichgasse“ (1985) bastelt die Autorin in träumerischer Nonchalance heiter angelegte Kaleidoskope aus Erinnerungen und geheimen Wünschen. Tomas Niederberghaus
„Traumcafé“: Lesung von Lenka Reinová, heute um 19 Uhr im Tschechischen Zentrum, Leipziger Straße 60, Mitte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen