: Unterm Strich
Erst jetzt wurde bekannt, daß Rolf Thiele, ein vor allem in der Nachkriegszeit aktiver Regisseur von Flüchtlingsfilmen und Satiren, schon am 9. Oktober im Alter von 76 Jahren gestorben war. Von ihm stammte ein satirisches Porträt der Nitribitt, eines Frankfurter Prominenten-Callgirls, die unter nie geklärten Umständen ermordet wurde und offenbar ungeheuer viel nationales Sehnen und Träumen auf sich gezogen hatte. In den sechziger Jahren hatte Thiele sich dann auf Literaturverfilmungen wie Tonio Kröger oder Wälsungenblut und vor allem Dürrenmatts Grieche sucht Griechin mit Heinz Rühmann verlegt.
Genauso unberechtigt wie bei „Wolf“ sind womöglich die Unkereien in der Vorlaufphase von Kenneth Branaghs Mary Shelley's Frankenstein, er habe zuviel „Gore“, also zuviel Blutiges und Ekliges, zuviel hemdloser Kenneth Branagh. Dabei erklärt Branagh, er und De Niro hätten nur Farbkataloge von Gesichtsrekonstruktionen, Unfallfotografien und so weiter studiert („it's a movie about things that could be just around the corner“). Na denn.
Jodie Foster wiederum gibt eine junge Frau, die in einer Waldhütte mit nichts als Mutters Bibelzitaten lebt, die schließlich aber von der zivilisierten Welt entdeckt und den Psychologen übergeben wird. Sieht ein bißchen nach Cranach und viel leiden und wenig essen aus, morbide Blässe eben und ein leidend zum Himmel gewandter Blick. Foster wollte eigentlich selber drehen; aber der Druck, gegen „Rain Man“, „Gilbert Grape“ und so weiter anzukommen, war dann wohl doch etwas zu groß. So bleibt sie Produzentin und Hauptdarstellerin; an ihrer Seite spielt Liam Neeson, den ich sofort als den Psychiater sehe, den zu lieben man haßt.
Robert Altman wiederum hat mit Barbara Shulgasser zusammen ein Skript für den Film Prêt-à-porter geschrieben, und in dem tatsächlich Julia Roberts, Lauren Bacall, Kim Basinger, Anouk Aimée, Marcello Mastroianni und obendrauf noch Tim Robbins mitspielen. Es geht um das Hickhack und die nicht unerheblichen Schiebereien im Pariser Prêt-à-porter- Geschäft. Zehn Jahre hat Altman an dem Projekt gearbeitet, hat auf Modenschauen gefilmt und einige echte Modegurus zwischen seine Partygäste gesprenkelt. Wird eine Mordsgaudi gewesen sein.
Während also der Schindler-Darsteller, wie oben berichtet, nun den Psychologen gibt, ist Ralph Fiennes, der bei Spielberg Goeth war, nun ein Quiz-Show- Gast, der von der Sendeanstalt als whizz-kid gegen einen kleinen jüdischen Mitbewerber (John Turturro) eingesetzt wird. Durch eine Untersuchungskommission im Kongreß fliegt die Sache auf – ein weiteres Märchen von der verlorenen Unschuld. Fiennes hat sich den Bauch wieder abtrainiert, der einem seit der Szene auf dem Balkon in Plaszow so unvergeßlich ist, und John Turturro hingegen hat zwanzig Pfund zuge-
nommen, und spätestens seit De Niros Körperzauber für „Raging Bull“ gilt das ja als die Spitze des Actors Studio-ismus.
Zu unserem großen Schrecken entnehmen wir der heutigen Libération, daß Sarah Kofman, in Paris geborene Professorin der Philosophie, Nietzsche und Freud-Exegetin und zwischen beiden stets zerrissen, sich umgebracht hat. Wieder und wieder hat sie in autobiographischen Texten, wie zum Beispiel den „Paroles suffoquées“, ihre Kindheit unter der deutschen Besatzung umkreist. Sie ist die Tochter des Rabbiners Berek Kofman, der 1942 deportiert und wenig später in Auschwitz ermordet wurde. Hierzulande sind wohl am bekanntesten ihre Essays zum Verhältnis Freuds zur Kunst, die Jacques Derrida so gefielen, daß eine vorsichtige Freundschaft entstand. Wenig später, vielleicht auch in Folge ihrer Auseinandersetzung mit Freud, stürzte sie sich, gemeinsam mit Lyotard und anderen, in die Nietzsche-Rezeption (für die Sorbonne muß man wohl fast Rehabilitation sagen); und man munkelt, daß es diese Arbeit war, die eine Professur so lange verhindert hat (erst vor fünf Jahren hat sie sie bekommen). Freunde haben der Libération berichtet, daß sie seit vierzehn Tagen von „nichts anderem“ gesprochen habe; der Selbstmord war ein lange gehegter Plan.
Wie weiter. „Die Bartholomäusnacht“ wird nun, mit einer kleinen Geschichtsnachhilfe versehen, nach Amerika gehen (wie berichtet, hat die Disney-Tochter Miramax ja vor, dem gemeinen jugendlichen Amerikaner un peu de culture beizubiegen, und sei es mit Untertiteln. Patrice Chéreau bestreitet, die Kürzungen an seinem Film, die neuen Rhythmisierungen, für den amerikanischen Verleih vorgenommen zu haben.
Der aus Italien stammende Hollywood- Komponist Gorgio Moroder, der vor allem durch die unter uns gesagt ziemlich ätzende Musik zu Top Gun und Flashdance von sich reden machte, strebt, wie AP süffisant meldet, „nach höheren Weihen“. Wenn es nach uns ginge, sänge der Italiener nicht mehr die 1847 erdichtete und komponierte Nationalhymne Fratelli d'Italia, sondern, passend zur neuen Zeit, Friede den Helden. Moroder, der Erfahrung hat mit Kompositionen für Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften, gibt unumwunden zu, daß ihm der Auftrag „wichtiger wäre als all meine Auszeichnungen und Platinschallplatten“.
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