: Das serbische Roulette beginnt
Das Angebot der Bosnien-Kontaktgruppe, eine großserbische Föderation zu bilden, hat Serbiens Präsident Milošević in Zugzwang gebracht ■ Aus Belgrad Rüdiger Rossig
Die Siegesmeldungen sind verstummt in Belgrad. Gäbe es nicht gelegentlich die kyrillische Oslobodjenje aus Pale, dem Hauptquartier der bosnischen Serben, an einem der Kioske im Stadtzentrum zu kaufen – man wollte kaum glauben, daß von von der serbischen Hauptstadt aus einmal der Krieg um das ehemalige Jugoslawien begonnen wurde. Die anderen Zeitungen und Zeitschriften, die die Händler an den Straßenrändern anbieten, werben im Herbst 1994 nämlich für den Frieden, allen voran Politika Ekspres, das Boulevardblatt, mit dem der serbische Präsident Slobodan Milošević seit Ende der achtziger Jahre die Serben zum Krieg gehetzt hatte.
„Milošević hat seinen Schwenk vom Kriegstreiber zum Friedensengel hervorragend vorbereitet“, sagt Vojslava Crnjanski von der Belgrader Nachrichtenagentur Tiker. Die 27jährige, die sich eigentlich vor allem Themen wie Tratsch, Intrigen und Skandalen widmet, gilt unter Kollegen als Kennerin der Medienpolitik des Präsidenten. „Miloševićs nächster Schritt war schon immer eher Gegenstand der Astrologie als der politischen Analyse“, sagt sie. „Bei der Opposition hat ihm das den Spitznamen „Pharao“ eingebracht.“
Der 1941 geborene Politiker gilt – gelinde gesagt – als unberechenbar. Das erfährt Radovan Karadžić, der selbsternannte „Präsident“ der bosnischen Serben, seit dem 4. August dieses Jahres am eigenen Leib. Denn die Schließung der rest-jugoslawischen Grenze zu Karadžićs „Serbischer Republik“ – den serbisch besetzten Gebieten Bosniens – bedeutet nicht nur das Ende jener „unheiligen Allianz“ aus Kommunisten und Nationalisten, die Milošević Ende der achtziger Jahre an die Macht gebracht hatte. Für die rund 500.000 Menschen in den serbisch besetzten 70 Prozent des bosnischen Territoriums heißt der neuste Schwenk des „Pharao“ vor allem das Ende der Belgrader Unterstützung für ihren Kampf um einen eigenständigen Staat in Bosnien.
Der Bruch mit Karadžić wird vorbereitet
Vorbereitet hatte der serbische Präsident seinen Coup wie immer mit Hilfe der Medien. „In der Woche vor der Schließung der bosnisch-serbischen Grenze gab es in allen Redaktionen Umbesetzungen“, berichtet Vojslava Crnjanski, „bei Politika, der größten Tageszeitung Serbiens, wurde sogar die ganze Chefredaktion ausgetauscht. Selbst Profis, die wahrscheinlich auch diesen Schritt Miloševićs mitgemacht hätten, wurden ersetzt, weil sie sich vorher zu sehr für die bosnischen Serben engagiert hatten.“
„Milošević kennt nur eine politische Grundregel“, sagt Miloš Vasić: „Unterstütze die Starken, bekämpfe die Schwachen.“ Der 1947 geborene Redakteur des unabhängigen Belgrader Nachrichtenmagazins Vreme war Ende der achtziger Jahre selbst Opfer einer Medien-Säuberung geworden. Milošević, damals Chef der Belgrader Sektion der Kommunistischen Partei, begann zu dieser Zeit des sozialistischen Zerfalls gerade den serbischen Nationalismus für die eigenen Ziele zu nutzen und damit seine Zukunft zu sichern. Vasić mußte als einer derer, die nicht auf das neue Ziel Großserbien setzen wollten, seinen Stuhl beim Nachrichtenmagazin Nin nach fünfzehn Jahren räumen. Trotzdem hielt er Milošević nie für einen echten Nationalisten. „Der will vor allem der stärkste Politiker auf dem Balkan werden“, so der ehemalige Vietnam-Korrespondent und Waffenspezialist, „und damit der wichtigste Gesprächspartner des Westens in Südosteuropa.“ Ideologien wie Kommunismus oder Nationalismus seien lediglich Mittel, um seine Politik zu legitimieren und das Erreichte zu sichern. „1987 hat er den damaligen serbischen Parteichef Ivan Stambulić, einen Reformer, entmachtet, indem er ihm mangelnde Fürsorge für die Belange des Serbentums vorwarf. Nach demselben Rezept soll nun Karadžić abtreten – weil er sich gegen den Frieden stellt.“
Doch statt dessen steht dem serbischen Präsidenten Ärger ins Haus. Denn der jüngste Vorschlag der internationalen Kontaktgruppe, die rest-jugoslawischen Republiken und eine verkleinerte „Serbische Republik“ in Bosnien zu einer Konföderation zu verbinden, hat einen Prozeß in Gang gesetzt, dessen Beginn Milošević lieber noch ein paar Wochen hinausgeschoben hätte. „Auf der Tagesordnung stand der Machtkampf mit Karadžić zwar schon seit der Ablehnung des Kontaktgruppen- Teilungsplans durch das Referendum der bosnischen Serben Anfang August“, sagt Vasić. „Daß die offene Konfrontation jedoch jetzt beginnt, kommt für Milošević denkbar ungelegen.“
Denn derzeit ist die Stellung des Präsidenten zu Hause in Serbien äußerst wackelig: Gerade mal 30 Prozent der Stimmen geben die Demoskopen seiner „Sozialistischen Partei“ SPS. Karadžić dagegen gewann in den letzten Monaten Verbündete bis weit ins national-demokratische Spektrum Serbiens hinein. Angesichts dessen gilt es in Belgrad als sicher, daß die gegen Karadžić gerichtete Grenzblockade weniger den vor zwei Jahren gegen Serbien und Montenegro verhängten UN-Handelssanktionen oder dem konkreten Verhalten der bosnischen Serben geschuldet ist – es geht Milošević vielmehr darum, sich die Kontrolle über Nomenklatura und Polizei in Serbien und Montenegro zu sichern, ohne ein Risiko einzugehen.
Die Hofschranzen sondieren das Terrain
Dafür spricht, daß die Hofschranzen des Präsidenten das Terrain wie immer längst sondiert hatten, bevor dieser selbst gegen Karadžić in Erscheinung trat. Die Hauptrolle bei diesem Vorspiel übernahm Zoran Lilić, der Präsident der „Bundesrepublik Jugoslawien“, wie der Rumpfstaat seit über zwei Jahren offiziell heißt. Schon Mitte Juli hatte Lilić gesagt, in der Führung der bosnischen Serben gebe es Kriegsverbrecher, was eindeutig auf Karadžić zielte. „Miloševićs Kalkül war wohl, im Falle eines ,Ja‘ der Serben und Montenegriner zum Plan der Kontaktgruppe wie gehabt die Lorbeeren einstecken zu können, und bei einem ,Nein‘ die ganze Sache dem Föderationspräsidenten in die Schuhe schieben zu können“, meint Vojslava Crnjanski. „Der bedrohlich mächtig gewordene Karadžić sollte isoliert werden.“
Nach dem erhofften Sturz des bosnischen Serbenführers hätte Milošević dann darauf verweisen können, daß er selbst schon am 7. September in der Provinzstadt Vranije eine Teilung Bosniens im Verhältnis von 50 zu 50 und eine Konföderation der derart verkleinerten „Serbischen Republik“ mit Serbien und Montenegro vorgeschlagen hatte – und ohne lästige Konkurrenten mit der Bildung Großserbiens beginnen können. Doch statt dessen muß der Präsident nun selber gegen Karadžić aktiv werden, denn das Konföderations-Angebot, das er nach Jahren großserbischer Propaganda schlecht öffentlich ablehnen kann, gilt nur für den Fall, daß die bosnischen Serben ein rundes Drittel des bisher von ihnen kontrollierten bosnischen Territoriums abgeben.
Das Föderations-Angebot zwingt Milošević also zur Eile, denn Karadžić kann im Gegensatz zu seinem serbischen Pendant kein Jota von seiner bisherigen Position abweichen. Einen Frieden auf Basis der gesamten serbischen Eroberungen aber, wie ihn Karadžić am 27. September in einem Brief an die Kontaktgruppe gefordert hatte, lehnt die internationale Gemeinschaft nach wie vor ab. Milošević bleibt also nur die Möglichkeit, den unbequem gewordenen Serbenführer mit Hilfe der Politiker und Generäle jenseits des Grenzflusses Drina zu stürzen. Das ist jedoch schwierig: denn Serbiens Präsident kann ihnen nach dem wirtschaftlichen Kollaps Serbiens im vergangenen Jahr nicht viel anbieten. Der Wechsel in den Ruhestand wäre für die Verantwortlichen in der „Serbischen Republik“ kaum zu akzeptieren, da sie sich aufgrund der Besetzung von mehr als 70 Prozent Bosniens als Sieger fühlen und dies auch ausnützen wollen.
„So bleibt Milošević nur, über den Sturz Karadžićs und dessen direkten Umfeldes der Welt ein Bauernopfer zu bringen, den Rest der Strukturen im serbisch besetzten Bosnien aber unangetastet zu lassen“, meint Miloš Vasić, der gerade zwei Monate für Vreme in Bosnien war.
Die zentrale Figur einer solchen Operation heißt Ratko Mladić. Schon Mitte August meldeten serbische Medien, Milošević habe dem Oberbefehlshaber der Armee der bosnischen Serben das Kommando der serbischen „Jugoslawischen Armee“ (JV) angetragen. Doch Miloš Vasić hielt die Meldung schon damals für „schlichtweg undenkbar“. „Das wäre für Mladić doch eher eine Beleidigung gewesen“, sagt er, „schließlich hat Milošević selbst die Armee seit dem Ende des Krieges in Kroatien systematisch zugunsten der serbischen Polizei geschwächt.“ 106 Offiziere der ehemals so stolzen „Jugoslawischen Volksarmee“ (JNA) seien seit 1991 frühpensioniert oder entlassen worden; die 20 Prozent, die in die neue JV übernommen wurden, könnten kaum noch ihre Familien ernähren. „Die Truppen der bosnischen Serben dagegen wurden bis zum Beginn des Embargos von Belgrad aus hervorragend versorgt, ihr Kommandeur gilt den meisten im Rumpfstaat verbliebenen Offizieren als Hauptverantwortlicher für den Niedergang der JNA. Mladićs Berufung hätte unberechenbare Risiken geborgen.“
Wahrscheinlicher sei, daß der gewiefte Taktiker Milošević alles tut, um General Mladić in sicherem Abstand zu Belgrad schmoren zu lassen. Zumal Mladić zum Handeln gezwungen ist, denn seit Beginn des Belgrader Embargos verliert seine Armee jeden Tag an Kampfstärke. „Von der Luftwaffe der bosnischen Serben ist schon jetzt nicht mehr viel übrig“, so der Vreme-Redakteur, „selbst für die Flugzeuge, die noch fliegen, fehlen Ersatzteile, Reifen, Kerosin, Munition.“ Zudem drohe Mladićs Armee zu zerfallen, seit es in Bosnien nicht mehr viel zu Plündern gibt. Der Aufstand der serbischen Truppen in Banja Luka vor einem Jahr war nur ein Vorgeschmack darauf, was daraus folgen könnte. Serbische Medien berichten, selbst einfache Soldaten des dort stationierten Korpus würden ihre „Kameraden“ in Pale mittlerweile offen als Verbrecher bezeichnen.
Der serbische General wartet noch
Bisher zumindest scheint sich der General noch nicht für oder gegen Karadžić entschieden zu haben. Seit der Ablehnung des Kontaktgruppen-Plans vermied er jedes Wort zum serbisch-serbischen Konflikt, beschränkte sich auf das Ausstoßen seiner berühmten Drohungen an die Adresse von Nato, UNO und bosnischer Armee. Doch von Parolen lassen sich die Steitkräfte Sarajevos nicht mehr beeindrucken, hat doch gerade der Zusammenbruch der serbischen Offensive gegen die die westbosnische Enklave Bihać gezeigt, daß die mehrheitlich muslimischen Soldaten der bosnischen Regierungsarmee sich längst nicht mehr auf Verteidigung beschränken müssen. „Letztendlich ist den Serben und Kroaten in Bosnien nur eine Sache gelungen“, sagt Vasić. „Sie haben aus der schlecht ausgerüsteten bosnischen Territorialverteidigung eine hochmobile Armee gemacht.“ Mladićs Truppen dagegen erweisen sich immer mehr als völlig korrupt: Belgrader Medien berichten, die serbischen Angreifer hätten Waffen an die Verteidiger Bihaćs verkauft.
Angesichts dessen hat der General nicht mehr viel Zeit, sich zu entscheiden. Zumal sein formeller Chef Karadžić bereits erste Konsolidierungs-Schritte eingeleitet hat. Am 18. August ersetzte er den bisherigen Premier der „Serbischen Republik“, Velibor Lukić, dem gute Kontakte nach Banja Luka nachgesagt werden, durch Dušan Kožić, einen mehrfach vorbestraften „Bisinesman“ aus der Herzegowina. „Košić ist nicht nur ein zu selbständigem Handeln weitgehend unfähiges Werkzeug Karadžićs“, weiß Vasić, „er verfügt auch über hervorragende Verbindungen zu den Kroaten in der Westherzegowina.“ So seien die Benzinpreise in Pale nach Beginn der Belgrader Blockade von 4,50 auf 2,50 Mark gefallen. „Dort heißt es, der Treibstoff sei aus Kupres gekommen – dank Kožićs guter Verbindungen.“
Das serbische Roulette ist also eröffnet. Und wenn der „Pharao“ nicht schnell eine Pirouette dreht, wird entweder er oder Karadžić auf der Strecke bleiben. Ob Bosnien jedoch im Fall eines Sieges des notgedrungen zum Friedensengel mutierten serbischen Präsidenten dem Frieden tatsächlich näherkommt, wird in Belgrad bezweifelt. Selbst Pazifisten im Umfeld des Belgrader „Zentrums für Antikriegsaktionen“ gehen davon aus, daß die Menschen in der Nachbarrepublik sich auf weitere fünf bis sieben Jahre low intensity conflict einstellen müssen. „Es dürfte schwierig sein, der dortigen serbischen Bevölkerung nach zwei Jahren Krieg klarzumachen, daß sie trotz aller Geländegewinne letztendlich verloren haben“, sagt Ivan A., einer der Studenten, die vor zwei Jahren die Massendemonstrationen gegen den Krieg Miloševićs in Bosnien organisierten. „Und auch für die Bosnier besteht angesichts ihrer militärischen Erfolge kein Anlaß, sich von ihrem Ziel eines vereinten, international anerkannten Staates zu verabschieden.“
Seinen Nachnamen will er nicht nennen, obwohl die Option für den Frieden in Belgrad mittlerweile Regierungspolitik ist. „Ganz sicher kann man bei Milošević nämlich nie sein.“
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