Wenn Lippen stiften gehen

■ Farbstoffe mit giftigen Schwermetallen wurden zwar aus Lippenstiften entfernt / Jetzt sind halogenorganische Verbindungen das Hauptproblem

„Rote Lippen sollst Du küssen, denn zum Küssen sind sie da...“, fordert kategorisch ein Schlager der 70er Jahre. Doch die Lust am Küssen könnnte Frauen und Männern schnell vergehen. Denn gesund sind das flammende Rot oder das gedeckte Violett, mit denen Frauenlippen aufgefrischt werden, nicht. Wie der aktuelle November-ÖKO-TEST ergab, sind viele der Lippenstifte mit Brom- und Chlorteilchen halogeniert.

44 Lippenstifte nahm das Magazin unter die Lupe. In vielen Stiften fanden die ÖKO-TESTer die halogenorganischen Verbindungen. Der Verdacht, daß diese aus Farbstoffen stammen, hat sich in vielen Fällen zweifelsfrei bestätigt. Bei acht Lippenstiften, die geringere Mengen an halogenorganischen Verbindungen zeigten, kommen auch verunreinigte Rohstoffe als Quelle in Frage. Fünf Produkte sind hingegen uneingeschränkt „empfehlenswert“, da darin keine schädlichen Stoffe stecken: Alverde Nr. 10 (DM-Drogerien), Ellen Betrix Natural Lips Nr. 16, Lavera Morgenrot Natur (Bioladen), Logona Lip Pencil Nr. 32 (Bioladen), Spinnrad Rotbraun.

Die Stifte werden häufig mit synthetischen Farben eingefärbt. Naturkosmetik-Anbieter wie Logona, Lavera und Futura kommen hingegen ganz ohne künstliche Farbstoffe aus. Sie verwenden ausschließlich gereinigte Erdpigmente, auch wenn damit nicht jede Farbnuance zu erreichen ist. Pflanzenfarben dagegen sind selten. Sie seien in der Verarbeitung nicht stabil genug, sagt Karin Zimmermann von der Firma Futura. Zudem sei es schwierig, an Farben aus ökologischem Anbau heranzukommen. Herkömmliche pflanzliche Färbemittel zu reinigen sei jedoch extrem aufwendig.

ÖKO-TEST störte zudem, daß Anbieter immer noch größere Mengen Erdölprodukte in ihre Stifte mischen – statt auf pflegende pflanzliche Öle und Wachse zu setzen. Darum erteilte ÖKO-TEST Lippenstiften mit einem Anteil von mehr als zehn Prozent Erdölprodukten die rote Karte. Bei Gebrauch so eines synthetischen Stiftes verdickt sich die Schleimhaut der Lippen, um sich gegen die fettigen Fremdkörper zu wehren. Die Lippen fühlen sich trocken an und spannen. Es wird „nachgeölt“, was aber nur scheinbar hilft. Die Prozedur beginnt von neuem.

Das summiert sich: Die Anbieter verkaufen pro Jahr 32,5 Millionen Lippenstifte. Die Menge ist es, die aus den oft als kleine Kunstwerke gefeierten Lippenstiften große Umweltsünder macht. Die Hälfte unserer Test-Produkte mußte erst aus einem Umkarton oder einem Plastikmantel gepellt werden, bevor die eigentliche Hülle erreicht war. Bei Paloma Picasso (Mon Rouge) beispielsweise kommt aus rotem Karton zunächst ein schwarzsamtenes Kistchen zum Vorschein, in dem wohlig eingebettet eine goldene Hülse den eigentlichen roten Kern verbirgt. Unsere Bilanz: 34 Gramm Verpackung für vier Milliliter Schminke. In 365 Tagen kommt so bundesweit ein etwa 500 Tonnen schwerer Müllberg zusammen. ÖTM