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Mißbrauch im Namen der Kirche

■ Fünf „Therapeuten“ in kirchlichen Beratungseinrichtungen nutzten ihre Macht gegenüber Klientinnen sexuell oder emotional aus Von Annette Bolz

Der Pastor – mit ihm verbindet sich das Bild des guten, sanftmütigen und ehrlichen Menschen, der seine Schäfchen schützt und ihnen hilft. Das glaubte auch die Theologie-Studentin Ute Zacharias (Name geändert). Doch zwei langjährige „Therapien“ bei kirchlichen Beratungsstellen zwangen sie, bis heute eine dritte Therapie zu machen, um die Folgen der kirchlichen Beratung zu verarbeiten. Denn die Männer – ein evangelischer Pastor und ein freier Mitarbeiter der nordelbischen Kirche – hatten Ute Zacharias emotional und sexuell mißbraucht.

Zacharias ist kein Einzelfall. Nils Gerke, Pastor an der Hamburger Hauptkirche St. Petri und Leiter des dortigen Beratungs- und Seelsorgezentrums, kennt insgesamt fünf „Therapeuten“, die sich im Namen der Kirche nicht nur um die seelischen Nöte ihrer Klientinnen kümmerten, sondern auch um ihre eigene Befriedigung.

Zwar sollen nicht alle das ihnen entgegengebrachte Vertrauen in sexueller Hinsicht mißbraucht haben, wie Gerke meint, manche hätten ihre Macht als Therapeut auch „emotional“ genutzt. Anzügliche Blicke, Berührungen, private Kontakte zählen zum Mißbrauch dieser Art. Doch auch solche Intimitäten behindern und verfälschen den therapeutischen Prozeß, das Therapie-Ziel wird verfehlt: Die Klientinnen fühlen sich am Ende ausgenutzt, betrogen und haben ein zusätzliches Problem zu bewältigen.

Einer der fünf kirchlichen „Fachberater“ gab den jahrelangen sexuellen Mißbrauch sogar offen zu, als Gerke ihn, seinen Untergebenen, darauf ansprach. Der Mann, der ein Psychologie-Studium abgebrochen hatte und über dessen Qualifikation sein ehemaliger Chef nichts genaues weiß, begründete seine sexuellen Kontakte mit Klientinnen mit seinem „Selbstverständnis“ als Therapeut, erzählt Gerke. Im März 1992 habe er ihm deshalb gekündigt – zum Dezember des selben Jahres. Bis dahin durfte das „Naturtalent“ (Gerke) noch neun Monate weiter „beraten“. Heute leitet dieser Mensch zwei außerkirchliche, psychologische Beratungsstellen in Hamburg und Umgebung.

Bei zwei anderen Fällen handelt es sich um „innerkirchlich umstrittene“ Pastoren, wie Gerke es ausdrückt. Werner Hoerschelmann, Probst von Alt-Hamburg und Hauptpastor von St. Petri, gibt zu, daß einer der beiden aufgrund seiner sehr „libertinen Auffassung von Therapie“ Kirche und Beratungsstelle 1987 verlassen mußte. Auch ein anderer Kirchenmann, der seine Macht in therapeutischen Situationen mißbrauchte, befinde sich heute im Ruhestand, so der Probst.

Der vierte im Bunde ist noch in kirchlichen Diensten und berät. Dieser will sich jedoch – wie Ute Zacharias berichtet – nicht an einen Mißbrauch erinnern, soll aber seine ehemalige Klientin gleichzeitig um Stillschweigen gebeten haben. Über den fünften Mißbrauchs-Täter schweigen Gerke und Hoerschelmann sich aus.

Über die ganz und gar unchristlichen Vorkommnisse soll es mehrere Gespräche innerhalb der Kirche gegeben haben, nicht nur mit Probst Hoerschelmann, sondern auch mit Bischöfin Maria Jepsen. Hoerschelmann hat nach eigener Aussage Nils Gerke aufgefordert, dem „sofort einen Riegel vorzuschieben“ und mit allen Beratenden über solche „absolut schlimmen Sachen“ zu sprechen.

Gerke und zwei seiner Kollegen, Hartwig von Schubert, Leiter der Beratungsarbeit des Diakonischen Werkes Hamburg und Ulrich Kruse, Leiter der diakonischen Beratung in Schleswig-Holstein, entschieden sich, die Arbeitsverträge mit den ehrenamtlich tätigen Laien und den „Therapeuten“ mit dem Zusatz zu bestücken, daß keine sexuellen Kontakte zu Klientinnen aufgebaut werden dürften, bei Zuwiderhandlung drohe Kündigung oder Beurlaubung.

Doch die „Mühlen der Kirche mahlen langsam“, wie Volker Gilbert, kirchlicher Pressereferent des Sprengels Hamburg, zugibt. Und so rechnet Nils Gerke erst 1995 mit einer Änderung der Arbeitsverträge, obwohl der Kirche das Problem des Mißbrauchs offensichtlich mindestens seit 1987 bekannt ist. Gerke rechtfertigt die lange Wartezeit damit, daß seine Kollegen sich erst nach und nach der Bedeutung des Themas bewußt würden. Außerdem seien vorher kirchenrechtliche Hürden zu überwinden gewesen, ergänzt Gilbert.

Ein anderes Problem der sogenannten „Fachberatung“ ist damit allerdings noch nicht gelöst: die nicht vorhandene oder schlechte Ausbildung der „TherapeutInnen“. Als einziges Kriterium für die Einstellung der ehemaligen ehrenamtlichen Laien als „Fachberater“ gilt bei Pastor Gerke irgendeine begonnene Therapie-Ausbildung. Ein Psychologie-Studium, ein spezifischer und anerkannter Abschluß werden nicht gefordert: „Je besser jemand ausgebildet ist, desto eher ist er gefährdet, zu mißbrauchen“, meint er.

Ute Zacharias mag das anders sehen. Die heutige Theologin fühlt sich bei ihrer neuen, professionell ausgebildeten Therapeutin seit drei Jahren gut aufgehoben. Doch auch diese Therapie, die den sexuellen Mißbrauch der kirchlichen Beratungen aufarbeiten soll, zahlt nicht die Kirche. Zacharias muß sie – genau wie die „seelsorgerischen“ – von ihrer wohlmeinenden Krankenkasse bezahlen lassen.

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