: Kerstin Kaiser gibt Mandat zurück
Die durch Stasi-Vorwürfe belastete PDS-Abgeordnete reagiert auf massiven Druck ihrer KollegInnen / Will Gysi nicht mehr Vorsitzender der PDS-Gruppe werden? ■ Aus Bonn Gunnar Leue und Hans Monath
Bonn (taz) – Kerstin Kaiser hat gestern nachmittag dem Druck der überwältigenden Mehrheit der PDS-Gruppe nachgegeben. Sie gibt ihr Mandat zurück. Sie hatte ihre Vergangenheit als Stasi-Informantin verschwiegen.
Die Bundestagsgruppe der PDS muß sich möglicherweise auch einen neuen Vorsitzenden suchen. Der Ex-PDS-Chef Gregor Gysi überlegt nach Informationen aus seinem Umfeld, der von 15 auf 30 Mitglieder gewachsenen Bundestagsgruppe nur noch als einfacher Abgeordneter anzugehören. Grund sind nach Angaben von Vertrauten die ständigen Stasi- Vorwürfe, denen sich der im Berliner Wahlkreis Marzahn/Hellersdorf direkt gewählte Anwalt ausgesetzt sieht.
Gysis Bonner Büro bestätigte gestern lediglich, daß der Abgeordnete über seine Kandidatur noch nicht entschieden habe. Die Wahl des Vorsitzenden steht kommende Woche an. – Der Pressesprecher der PDS-Bundestagsgruppe bestritt gestern, daß Gysi das Amt aufgeben wolle. „Ich gehe davon aus, daß er kandidiert und gewählt wird“, sagte Jürgen Reents. „Ich kann mir diese Gruppe schwer ohne Gysi vorstellen.“ Der Politiker selbst war gestern nicht zu erreichen.
Der Spiegel hatte in seiner jüngsten Ausgabe über Stasi-Dokumente berichtet, die Gysi belasten. Nach Angaben des Magazins fand Katja Havemann in Gauck-Akten Berichte eines Rechtsanwalts mit dem Decknamen „Notar“, der Stasi-Offizieren in einer konspirativen Wohnung über vier seiner Mandanten informiert hatte.
Das Verhältnis zur Stasi-Vergangenheit war auch Thema in der konstituierenden Sitzung der PDS- Bundestagsgruppe am Mittwoch in Bonn. Nach heftiger Diskussion forderte eine Mehrheit die Abgeordnete Kerstin Kaiser auf, ihr Mandat niederzulegen. Der stellvertretenden PDS-Vorsitzenden wird vorgeworfen, jahrelange Stasi-Mitarbeit verschwiegen zu haben.
Auch PDS-Bundeschef Lothar Bisky räumte gestern Fehler seiner Partei im „IM-Grenzfall“ Kaiser ein. „Der entscheidende Fehler war, daß es keine Entscheidung der PDS vor dem Wahltag zu Kaiser gab.“
Die über die brandenburgische Landesliste gewählte Kaiser hatte zunächst argumentiert, die Wähler hätten ihr Votum in Kenntnis ihrer Vergangenheit abgegeben. In den siebziger Jahren hatte die Studentin in Leningrad Spitzelberichte über Kommilitonen verfaßt.
Zur neuen PDS-Gruppe gehört neben der Ex-DDR-Wirtschaftsministerin Luft, dem Ex-Staatsratsvize Maleuda und dem Schriftsteller Zwerenz auch Rolf Kutzmutz an. Der ebenfalls über die Landesliste gewählte Abgeordnete war als Stasi-Mitarbeiter enttarnt worden, als er für den Posten des Potsdamer Oberbürgermeisters kandidierte. Trotzdem erreichte Kutzmutz im ersten Wahlgang mehr als 40 Prozent der Stimmen. Stefan Heym hatte am Verhalten Kaisers scharfe Kritik geübt. Da Kaiser ihr Bundestagsmandat jetzt nicht annnimmt, bahnt sich für ihre Familie durch den Verlust sämtlicher Einnahmen ein sozialer Absturz an. Die Mutter von vier Kindern hat nur ein unbezahltes Mandat als Kreistagsabgeordnete. Ihr Ehemann wird in Kürze seine hauptamtliche und bezahlte Parteifunktion verlieren. Siehe Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen