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„Man legt sich einen Hidschab um“

■ ARD-Korrespondent Samuel Schirmbeck, einer der beiden letzten westlichen Journalisten, die noch permanent in Algier arbeiten, über seine Arbeitsbedingungen

taz: Herr Schirmbeck, tragen Sie eine schußsichere Weste?

Samuel Schirmbeck: Nein, ich habe keine. Es gab hier einen einzigen Kollegen vom französischen Rundfunk, der eine besaß, weil er mit dem Moped durch die Straßen fuhr. Ansonsten bringt eine schußsichere Weste überhaupt nichts. Wenn man auf der Liste der Todeskandidaten steht, wird man so oder so erledigt. Hier wird einem die Gurgel durchgeschnitten oder in den Kopf geschossen. Da hilft Ihnen auch keine schußsichere Weste.

Stehen Sie auf einer solchen Todesliste?

Ich habe am 15. August letzten Jahres eine Todesdrohung bekommen: „Raus aus Algerien“, „Zum Tod verurteilt“, außerdem habe ich Drohanrufe erhalten. Ob ich aber auf der Liste stehe, weiß ich nicht.

Haben Sie Polizeischutz angefordert?

Ich habe die Behörden und die Botschaft informiert, aber nicht direkt Polizeischutz angefordert. Es haben sich trotzdem vor meiner Haustüre Zivilpolizisten eingefunden. Als ich sie zum erstenmal sah, habe ich die Sicherheitszentrale angerufen, um zu fragen, ob das ihre Leute seien, ob das echte oder falsche Polizisten seien. Die Zentrale antwortete mir, just das habe sie von mir wissen wollen. Wir haben die Uniformierten vor dem Haus gefilmt und das Material zusammen mit der Sicherheitspolizei angeschaut.

Aber zunächst konnten die auch nicht sagen, ob die Kollegen echt waren, später, nachdem sie im Fuhrpark der Polizei nachgeschaut haben, konnten sie die Autos identifizieren. Es waren echte Polizisten, die vor meinem Haus gestanden haben.

Wie sichern Sie sich ab, wenn Sie vor Ort drehen wollen?

Dem kleinen Mann aus dem Stadtteil, der seinen Revolver in der Tasche hat, der einen Ausländer sieht und schießt, dem entkommt man, indem man überhaupt nicht zu Fuß geht. Beispielsweise soll ja der Generaldirektor von Daewoo [südkoreanische Autofabrik; d.Red.] erschossen worden sein, als er aus dem Auto stieg, nur um über den Gehsteig zu gehen und Zeitungen zu kaufen. Man darf keinen Schritt zu Fuß gehen. Das Auto muß man öfters wechseln, und man darf im Auto selbst nicht als Europäer zu erkennen sein. Man legt sich also einen Schal um oder einen Hidschab, damit man wie eine Großmutter aussieht, die von ihrem arabischen Enkel ins Krankenhaus gefahren wird. Trotzdem ist es ein zweischneidiges Schwert. Denn der Polizeischutz bliebe ja dem islamistischen Untergrund nicht verborgen.

Schlafen Sie zu Hause?

Kein Ausländer schläft mehr als eine Nacht zu Hause. Wir schlafen bei Freunden, in gut gesicherten Hotels. Permanent wechselt man den Wohnort. Ich habe das jetzt gerade vier Wochen lang gemacht.

Wieviele Auslandsjournalisten halten sich noch in Algier auf?

Von den westlichen Medien ist außer mir noch ein Kollege einer französischen Nachrichtenagentur hier. Ab und zu kommen noch andere Kollegen für ein paar Tage herüber. Aber die französischen Medien können es überhaupt nicht riskieren, länger als ein paar Tage hier zu sein und versteckt zu arbeiten. Soweit ich weiß, bekommen sie auch keine Einreisegenehmigung, weil man für ihre Sicherheit nicht garantieren kann.

Wie lange wollen Sie sich noch in dieser Gefahr aufhalten?

Es bahnen sich in Algerien doch gewaltige Entwicklungen an, weil das Land außenpolitisch und ökonomisch gewaltig unter Druck steht und weil auch die Islamische Heilsfront FIS, oder zumindest ihre Führung, eingesehen hat, daß ihr die Felle davonschwimmen, wenn sie nicht politisch einen neuen Schritt unternimmt. Und das passiert ja gerade mit den Geheimgesprächen zwischen Präsidentschaftspalast und den unter Hausarrest stehenden islamistischen Führern.

Ich denke, gegen Ende des Jahres werden wichtige Entscheidungen fallen. Und es wäre zu hoffen, die derzeitige Führung sieht endlich ein, daß sie sich wie die anderen Führer in den vergangenen dreißig Jahren der Unabhängigkeit ein Volk zusammenphantasiert hat. Für Boumédienne war es die Moderne, aber ohne den kritischen Geist, für Chadli war es das korrupte Volk, er hat die Korruption demokratisiert. Und die Islamisten meinen, daß Algerien sich nach dem Hidschab sehnt, weil sie über 47 Prozent der Stimmen bekommen haben – was Quatsch ist. Die Algerier sind das modernste und am wenigsten fundamentalistische Volk in Nordafrika. Ich hoffe auf Wahlen. Und das möchte ich noch miterleben. Interview: Thomas Schmid

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