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„Gott ist Deutscher und wohnt in Berlin“

■ Ab heute gastiert das Gesher Theater aus Tel Aviv mit „Adam Hundesohn“ auf dem Mariannenplatz – Ein Gespräch mit dem israelischen Schriftsteller Yoram Kaniuk, auf dessen Novelle das Stück basiert

Wie darf man den Holocaust inszenieren? Unter der Zirkuskuppel, als Nummernrevue mit Artistik, Witz und Kabaretteinlagen? Die israelische Theatergruppe Gesher (zu deutsch: die Brücke) wagt den Drahtseilakt: die Hölle als Zirkus. Wer hat noch nicht, wer will noch mal – ein Stück Seife für Frau Fein. KZ-Kommandant Klein verkauft den Mord als Höhepunkt der Vorstellung. Die Opfer reißen sich um das Stück Seife. Frau Fein geht ins Gas und der Titelheld Adam bläst von oben Glitzersternchen herab.

Das Stück „Adam Hundesohn“ ist grell und schonungslos, der Holocaust als Wahn-Witz. Es erzählt die Geschichte von Adam Stein, vormals Berliner Jude, Clown und Zirkusdirektor. Im KZ überlebte er als Hund des Kommandanten, jetzt ist er ein Irrer in einer israelischen Psychiatrie. Im Lager führte er Geigenspiel und Clownerien vor, als seine Familie in den Tod ging. Einer, der mit seiner Schuld nicht leben und nicht sterben kann.

Was in der Novelle des israelischen Schriftstellers Yoram Kaniuk das Irrenhaus ist, wird in Yevgeny Aryes Inszenierung zum Zirkuszelt. Auf dem Trapez, dem Drahtseil, dem Podest der Kapelle und in der Manege zerfließen die Zeitebenen: In rascher Folge wandelt sich das KZ zum Zirkus, der Zirkus zum Irrenhaus zum Lager.

„Adam Hundesohn“ versucht die unheilbare Beschäftigung des Überlebenden zu beschreiben: der Alptraum als Normalzustand. Kaniuks Text, den Alexander Chervinski dramatisiert hat, versperrt sich jeder Art von Sinnstiftung und Instrumentalisierung des Holocaustes. Weder israelischer Gründungsmythos noch nachkriegsdeutsche Trauerarbeit lassen sich daraus schöpfen. „In Israel leben nur Helden und Verrückte“, heißt es in dem Stück. „Die guten Juden sind im Holocaust gestorben oder nach Amerika ausgewandert.“

Das seit 1991 bestehende Gesher Theater ist mittlerweile zu einer der „wichtigsten Theatergruppen Israels“ (Jerusalem Report) avanciert. Gesher, eine Truppe jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion, pflegt die Tradition der russischen Theaterschule: expressive Gesten und Fellini-artige Bilder. Wir sprachen mit dem Autor über die Inszenierung, die Darstellbarkeit des Holocaustes und eine merkwürdige Begegnung mit seinem Nachbarn Mr. Gilbert.

taz: Herr Kaniuk, Sie haben den Roman geschrieben, der dem Gesher Theater als Vorlage diente. Gefällt Ihnen das Stück?

Yoram Kaniuk: Oh ja. Am Anfang war ich etwas skeptisch. Es gibt zwar auch im Buch viel schwarzen Humor, aber die Idee, das Stück als Zirkus zu inszenieren, schien mir etwas verwegen. Ich hatte Zweifel, ob die Israelis die Verbindung von Holocaust und Zirkus akzeptieren würden. Aber genau darauf gründet der Erfolg des Stückes: Die Inszenierung ist so schrill, daß sich die Zuschauer davon kaum distanzieren können.

Im Stück wechseln Trauriges und Groteskes, Entsetzen und Witz. Befreit Lachen vom Trauma?

Das Lachen, oder genauer: Humor ist der Schlüssel. Was soll man sonst auch machen: weinen, schreien, sich grämen? Diese Haltung ist in der jüdischen Tradition verankert. Die härtesten Judenwitze sind nach dem Krieg in Israel erzählt worden ...

Welche?

Naja, wieviel Juden passen in einen Volkswagen und diese Sachen. Über sich selbst zu lachen, ist eine uralte chassidische Tradition, daran hat auch der Holocaust nichts geändert. Das ist aus der Situation von Verfolgung und Selbstbehauptung entstanden. Was wir heute für die chassidische Tracht halten, war eine Kleidung, die sie im Mittelalter tragen mußten: Man zwang sie, diese seltsamen Hüte anzuziehen, damit sich das Volk über sie lustig machen konnte. Ihr wollt, daß wir diese Kleidung tragen, weil wir darin lächerlich aussehen und ihr etwas zu lachen habt? Okay. Sich selbst nicht besonders ernst zu nehmen, ist eine Überlebenstechnik. Für diese Haltung haben wir ein Wort: Daffke. Man tut etwas trotz allem.

Das Buch treibt dieses Motiv weiter. Adam, der das KZ überlebt hat, sucht Gott, und als er ihn in der Wüste Negev findet, stellt sich heraus: Gott ist sein KZ-Kommandant. Den Verdacht hatte ich übrigens schon lange. Gott ist Deutscher und wohnt in Berlin.

Im Stück trägt dieser Gott den gleichen Trenchcoat wie Adam: der KZ-Kommandant ist eine Art Doppelgänger, er ist sein zweites Ich geworden. Nach der Erfahrung der totalen Demütigung, der totalen Auslöschung seiner Person hat Adam den Kommandanten gewissermaßen verinnerlicht.

Gott ist der KZ-Kommandant, aber er ist auch der Chef der israelischen Psychiatrie, in der Adam sitzt: Er ist das Bild der Autorität schlechthin. Gott sagt: Du wirst mich nie loswerden. Wohin du auch fliehst, ich bin schon da.

Ist das Blasphemie?

Nein, ich glaube nicht. Wo war Gott in Auschwitz, das ist für religiöse Juden eine Schlüsselfrage, sie kommt ja auch im Stück vor. „Zigaretten holen“, sagt ein Überlebender dort. Ich persönlich glaube: Wenn es einen Gott für die Juden gibt, arbeitet er für die falschen Leute.

Adam Hundesohn hat Geige gespielt, als seine Frau und seine Tochter ins Gas gingen. Die Häftlinge dachten: Wo Geige gespielt wird, kann nichts Schlimmes passieren. Deshalb fühlt er sich schuldig ...

In Israel fühlen sich alle Holocaust-Überlebenden, die ich getroffen habe, schuldig – einfach, weil sie überlebt haben. In Deutschland habe ich noch niemanden getroffen, der sich schuldig fühlte. Hier fühlt man sich betroffen oder unkommod, aber nie schuldig. Ich kannte eine Cafébesitzerin in Tel Aviv, Sarah, die mir ihre Geschichte erzählte. Sie war in Auschwitz, und einmal sammelte die SS zehn Mädchen, die in die Gaskammer sollten. Da stand sie nackt, wartete auf ihren Tod, und zufällig rettete sie eine Freundin in einem unbemerkten Augenblick. Dann kam die SS zurück, sah, daß es nur neun Mädchen waren und schaffte eine zehnte her. Sarah wurde gerettet, weil eine andere starb.

In Adam zeigt sich nicht nur die Not des Überlebenden. Er repräsentiert auch die Tragödie der assimilierten deutschen Juden, deren Geschichte in der totalen Vernichtung endete. Der Zionismus ist angetreten, einen anderen Juden als diesen Adam zu schaffen: einen, der nicht länger Opfer, nicht länger etwas Besonderes ist. Ist diese Verwandlung gelungen?

Sich von der Vergangenheit zu lösen, ist ein komplizierter, widersprüchlicher Prozeß. Kein Volk ist so lange gehaßt worden wie die Juden. Deshalb haben wir ein sehr spezielles Verhältnis zum Leiden, ja, wir sind Botschafter des Leidens. Nicht, daß wir ein Patent darauf hätten, überall leiden Menschen, aber manchmal sagen wir: Schaut her, wie schön wir sind, weil wir so viel gelitten haben. Wir zeigen unsere Wunden und sagen: Seht, was ihr uns angetan habt. Das hasse ich manchmal, auch an mir selbst.

Trotzdem, verglichen mit früher ist der Holocaust in Israel ein Thema, das an Bedeutung verliert. Das heißt nicht, daß es die Leute nicht mehr bewegt. Wenn ein Stück wie „Adam Hundesohn“ von Deutschland nach Israel käme und die deutsche Sicht zeigen würde, dann wäre es dort bestimmt das Theaterereignis des Jahres. Ich weiß keine eindeutige Antwort. Der Holocaust wird langsam immer mehr zum Ritual, und das ist eine Chance, sich davon zu distanzieren, sich weniger schuldig zu fühlen und gerechter zu sein.

In einer zentralen Szene des Stückes trifft Adam im Irrenhaus ein Mädchen, das glaubt, ein Hund zu sein. Er wendet sich diesem Wesen zu und versucht, es zu einem Menschen zu machen. Und damit natürlich auch seine hündische Vergangenheit im KZ zu bewältigen. Und es gelingt ihm. Und dann sehen wir Adam, die Krankenschwester, deren amouröse Avancen er zuvor immer abgelehnt hatte, und dieses seltsame Wesen: eine Familie. Und dieses Wesen, das er gerettet hat, ist natürlich auch seine Tochter, die er ins Gas gehen ließ. Das ist eine Katharsis – und es ist der Beweis, daß es keine Katharsis geben kann. Die Familie als Persiflage jener Familie, die unwiderbringlich verloren ist.

Adam und das Mädchen, das ist der Versuch von zwei Beschädigten, sich zu retten. Adam hat sich im KZ entschlossen, zu überleben, und das heißt alles zu tun, um zu leben. Das ist nicht meine Erfindung, das ist die Tatsache. Meine Frage war: Wie lebt man, wenn man Frau und Kind ins Gas gehen ließ und auch noch daran beteiligt war? Das ist natürlich die Beschreibung eines Zwiespaltes, der nicht zu überwinden ist.

Warum ist es Ihnen so wichtig, daß das Stück in Deutschland gezeigt wird?

Als ich nach Berlin kam, ist mir eine Begegnung aus meiner Jugend eingefallen. Ich habe Arnold Zweig einmal besucht, er war ein Freund meines Vaters. Er hatte ein wunderschönes Haus in Haifa, man schaute auf das Meer, aber Arnold Zweig redete nur von Berlin. Und er sagte zur mir: „Das waren nicht die Deutschen, das waren die Nazis.“ Diese komische Sehnsucht, die negative Symbiose im Verhältnis von Juden und Deutschen, darum geht es auch in „Adam Hundesohn“. Als mein Vater alt wurde, konnte er sich an nichts mehr erinnern. Er wußte nicht mehr, wie er hieß, gar nichts. Das einzige, was er noch rezitierte, waren deutsche Gedichte: Fontane, Heine, Goethe.

Verstehen Sie? Es gibt eine unerwiderte Liebe von Juden zu den Deutschen. Deshalb ist es mir so wichtig, wenn das Stück hier gezeigt wird, wichtiger als der Erfolg in Israel. Und gleichzeitig muß ich über mich selbst lachen. Es gibt hier keine Juden mehr, die Geschichte ist gelaufen, vorbei.

Glauben Sie, daß man eine besondere Ästhetik benötigt, um den Holocaust zu zeigen? Das Stück zeigt vitales, aber auch sehr artifizielles Theater: antirealistische Zauberei?

Eine Bearbeitung des Holocaustes oder ähnlicher Ereignisse verträgt nur zwei Herangehensweisen. Lanzmann hat in „Shoa“ eine Art der Annäherung, den Versuch einer Rekonstruktion gezeigt. Die andere ist die Groteske.

Den Holocaust kann man nicht darstellen, indem man Güterwagen in die Lager rattern läßt, sondern indem man Verrückte zeigt, die nach Palästina fahren. Oder eine Frau, die lacht, weil sie sterben muß. Das ist Zirkus. Da kann man sterben, aber die Toten sind nicht tot. Eine naturalistische Inszenierung, die 1:1 abbildet, funktioniert nicht ...

Sie meinen „Schindlers Liste“ ...?

Ja, wenn ich die ausgemergelten Kinder in „Schindlers Liste“ ansehe, weiß ich doch, daß sie gleich Hamburger und ice cream essen werden. Dieser Effekt entsteht immer, wenn man vorspiegelt, es so zu zeigen, wie es wirklich war. Gesher hingegen zeigt blutige Scherze. Sehen Sie sich Bilder von Bosch an: Alles ist merkwürdig, verrückt, grotesk; man erkennt die Wahrheit durch die Lüge, die Stilisierung, das Nicht-Realistische. Der Holocaust ist nicht realistisch darstellbar.

Ich hatte einen Nachbarn, Mr. Gilbert, und Mr. Gilbert hatte einen Freund, der ihn einmal im Jahr besuchte. Und jedes Mal gab es die gleiche Inszenierung. Dieser Freund setzte sich unter den Tisch, während Mrs. Gilbert eine weiße Tischdecke ausbreitete, Blumen und Weißwein auf die Tafel stellte. Dieser Freund saß unter dem Tisch und begann mit tonloser Stimme zu reden: „Am 12. Mai 1941 flüchtete ich mit einer Gruppe von zwanzig Juden. Wir kamen zu einer Brücke, darauf deutsche Soldaten, die Kaffee tranken. So versteckten wir uns unter der Brücke. Ich hielt mein einjähriges Kind in meinem Arm, und das Kind begann zu schreien, und zwanzig Juden schauten mich an. Und ich wußte: entweder mein Kind oder wir alle. Da habe ich es erdrosselt.“

Das erzählte er mit leiernder Stimme, ohne jede Gefühlsregung, und saß dabei unter dem Tisch. Am Anfang war ich wirklich schockiert, aber das legte sich im Laufe der Jahre. Es war immer das gleiche Ritual, und ich habe nie verstanden, warum es immer Weißwein und nie Rotwein sein durfte. Diese Geschichte ist das Gegenteil von „Schindlers Liste“. Adam Hundesohn sitzt auch unter dem Tisch. Das Gespräch führten Katja

Maurer und Stefan Reinecke

„Adam Hundesohn“ ist ab heute bis 27.10., 20 Uhr, im Zirkuszelt auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg zu sehen. Vom 22.-25. in hebräischer, am 26./27. in russischer Sprache, jeweils mit deutscher Simultanübersetzung.

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