piwik no script img

Krimsekt made in Litauen

■ Die Trauben kommen aus Moldowa, in Alytus wird vergärt, in Deutschland getrunken – der lange Weg des litauischen Schaumweines bis zur Trinkfähigkeit

Die litauische Industriestadt Alytus hat 77.000 Einwohner und liegt auf halbem Weg zwischen der polnischen Grenze und der Hauptstadt Wilna, unweit des Kurortes Druskininkai. Doch sie hat etwas, was sie von anderen litauischen Städten unterscheidet: eine eigene Sektfabrik, die sie einer Chruschtschowschen Laune verdankt. Nur damals konnte es passieren, daß in einem Land, dessen Klima dem Gedeihen von Reben äußerst unbekömmlich ist, Sekt hergestellt wurde.

„Tatsächlich kommen unsere Trauben aus Moldowa“, gibt Vytautas Junevicius, Generaldirektor von „Alita“, zu, „sie werden hier nur vergoren.“ Dann gehen sie in den Verkauf in Litauen und – zu etwa 10 Prozent – ins Ausland, vor allem nach Deutschland. „Früher ging alles über Moskau“, so Junevicius, „heute müssen wir den Absatz selbst organisieren.“

Tados Ladzevicius, technischer Direktor des Gemeindebetriebs, deutet auf einige riesige runde, in schmutzigem Gelb gestrichene Behälter: „Unser Schaumwein gärt nicht in der Flasche, sondern in diesen Behältern, so können wir noch korrigieren.“ Korrigiert wird mit Likörbeigaben, nicht mit Zucker. Eine Halle weiter laufen bereits die Flaschen auf einem Fließband durch die Etikettier- und Korkmaschinen, überwacht von jungen Mädchen in weißen Umhängen.

Die Bandmaschinen sind deutscher und italienischer Produktion, aber haben ihre Eigenheiten: Von Zeit zu Zeit knallt ein schlechtsitzender Sektkorken wie ein Pistolenschuß durch die Halle.

„Früher haben wir unseren Sekt als Sovjetskoje Igristoje verkauft“, erzählt Ladzevicius, „seit der litauischen Unabhängigkeit heißt er schlicht ,Alita‘. In Litauen haben wir damit keine Probleme, aber im Westen kennt man diese Marke nicht, da wollen die Leute Sowjet- Sekt. Also nennen wir ihn einstweilen weiter so.“ Das ist zwar nicht patriotisch, aber besser fürs Geschäft. In einer Holzkiste stehen einige Alita-Flaschen mit der Aufschrift „Krimskoe“, zu deutsch: Krimsekt. „O ja“, meint Ladzevicius harmlos, früher habe man solche Etikettierungen gemacht, inzwischen sei man davon abgekommen.

Generaldirektor Junevicius ist etwas genauer: Wenn ein Kunde das wolle, liefere man auch Krimsekt. Meistens liege den deutschen Abnehmern daran. Krimsekt sei in Deutschland nämlich fast dreimal so teuer wie „Alita“, auch wenn beides aus der Fabrik in Westlitauen komme. Den Verdacht, er vertreibe Krimsekt als Raubkopie, weist er weit von sich: „Wenn Krimsekt auf dem Etikett steht, garantieren wir, daß der Inhalt aus Traubenkonzentrat hergestellt wurde, das auch tatsächlich von der Krim kommt“, unterstreicht er. Vergärt wurde es allerdings trotzdem in der litauischen Industriestadt, eventuell unter Zugabe von Likör. Eine Genehmigung der Krim zum Vertrieb unter diesem Namen benötige man nicht. Acht Millionen Flaschen Sekt produziert Alita im Jahr. In Litauen kostet eine Flasche umgerechnet ein bis zwei Dollar, im Westen zehn Dollar. Erhöhen könne man die Produktion auf maximal 12 Millionen Flaschen, doch dafür gebe es keinen Absatz im Export. Früher oder später soll der Betrieb privatisiert werden.

Bis dahin ist er ein kleines Denkmal der Chruschtschowschen Arbeitsteilung im Sowjetsystem. Wer sonst käme auf die Idee, Trauben von der Krim und Moldowa Tausende Kilometer nach Norden zu schaffen, dort zu Sekt zu vergären, diesen auf deutschen und italienischen Maschinen mit Luxemburger Korken zu versehen und per Lkw nach Moskau zu schaffen.

Daß sich diese Prozedur lohnt, dürfte auch nur daran liegen, daß das Benzin für den Transport – so vorhanden – fast überall auf dem Weg noch subventioniert wird. Und daß Alita die Trauben vom Schwarzmeer und der rumänischen Grenze nicht verzollen muß. Klaus Bachmann, Alytus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen