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Europa auf moselfränkisch

Auf Sträßchen entlang der Our im deutsch-belgisch-luxemburgischen Grenzraum  ■ Von Robert Zimmer

Losheim, im südwestlichsten Zipfel Nordrhein-Westfalens, war jahrzehntelang ein abgelegener kleiner Grenzübergang, an dem sich die Route Trier–Aachen mit der Straße ins belgische St. Vith kreuzte. Inzwischen hat sich auf belgischer Seite eine kommerziell und werbemäßig hochgeputschte Kuriosität etabliert. Reisebusse aus der ganzen Region laden ihre Fracht an der „Krippana“ ab, einer internationalen Kirchenkrippenausstellung, ein für die angegliederten Geschäfte und Restaurationen höchst umsatzförderndes Unternehmen. Bei gedämpftem Licht kann sich der Deutschen Vorliebe für weihevoll verkitschtes Kunsthandwerk entfalten.

Wenige Kilometer entfernt entspringt die Our, die bis zu ihrer Mündung in die Sauer mitten durch den deutsch-belgischen und den deutsch-luxemburgischen Naturpark fließt. Ein karges, ökologisch noch wenig beschädigtes Land im Windschatten, das auch politisch wieder zusammenwächst. Rechts und links der Our spricht man moselfränkischen Dialekt, bezahlt in drei (und manchmal mehr) Währungen und lebt und arbeitet grenzübergreifend: Europa avant la lettre.

Ich folge zunächst der ausgeschilderten Ourtal-Route, durch abgelegene Dörfer wie Andler, Schoenberg oder Setz. Französische Versionen der Ortsnamen sind hier überklebt oder überschmiert. Statt „Crédit Agricole“ heißt es „Gemeindekredit“. Krähwinkel gibt es auch in den Ardennen und heißt „Krewinkel“, und in Manderfeld geht man in „Gaby's Friseursalon“ zum Haareschneiden. Wir sind – wer hat's gemerkt? – im deutschsprachigen Teil Belgiens, von den Deutschen „Eupen-Malmedy“ und von den Belgiern schlicht die „Ostkantone“ genannt. Die hier lebende „Deutschsprachige Gemeinschaft“ gehört im neuföderalen Belgien offiziell zu Wallonien, hat aber vollständige kulturelle Autonomie und eine eigene wechselvolle Geschichte. Ehemals zu Habsburg gehörig, kam die Region 1815 zu Preußen und ist seit dem Ende des Ersten Weltkriegs belgisch.

Überall in den Dörfern entdeckt man den Aufkleber mit dem Wortspiel „A.M.E.L. nein“. Er ist Teil einer Kampagne der jüngst gegründeten Bürgerinitiative gegen ein geplantes AtomMüllEndLager, das von der belgischen Regierung im nahe gelegenen Amel geplant ist. Das Projekt wäre das Ende einer noch weitgehend intakten Naturlandschaft.

Von Setz bis Steinebrück folge ich der Our auf einer schmalen Straße. Für Gegenverkehr ist in der Regel kein Platz. Beim Grenzübergang Steinebrück unterquere ich die Autobahn nach Lüttich, die hier die Landschaft brutal durchschneidet. Ich bleibe auf belgischer Seite. Die Straße verläßt für ein paar Kilometer die Our und führt über die Hügel nach Burg Reuland. Der in ein enges Tal eingezwängte, von Wald umgebene Ort hat inzwischen seine frühmittelalterliche Burgruine restauriert, eine der größten in den Ardennen. Im Sommer parken die Besucher die schmale Hauptstraße zu und füllen die wenigen Cafés.

Ouren ist das südöstliche Schwanzende Belgiens. Hinter dem Ort, genau am „Trois Frontières“ genannten Dreiländereck, hat man ein Europadenkmal errichtet: vier Findlinge repräsentieren jeweils Deutschland, Belgien, Luxemburg und Frankreich. Als Park gestaltet und mit Tischen versehen, ist es ein begehbarer Ort, der als Picknickplatz genutzt wird.

Ich bleibe rechts der Our, und daß ich nun in Luxemburg bin, ist allenfalls an der veränderten Farbe der Ortsschilder kenntlich. Die Our bildet ab hier die deutsch-luxemburgische Grenze. Ihr Tal wird enger, die Schluchten tiefer und die Höhen höher, soll heißen: Ich bin in der luxemburgischen Schweiz. Dies ist das Land der tausend Campingplätze und Wanderrouten. Auf deutscher Seite kann man in Orten wie Dasberg, Affler oder Bauler die Eifel dort erleben, wo sie am verlassensten ist. Es ist das Land der blümchengemusterten Kittelschürzen, wo jeder Fremde gegrüßt und jedem durchfahrenden Auto hinterhergeschaut wird. Einen Blick von vis-à-vis, also von Deutschland nach Luxemburg, gewährt die Burgruine Falkenstein. Auch wer auf topographische Etymologie steht, kommt auf seine Kosten. Wie war das noch bei Proust? Ortsnamen, Namen überhaupt. So geht es über Obereisenbach nach Untereisenbach und auf der anderen Seite der Our? Richtig, dort ist Übereisenbach.

Die sogenannte „Grüne Straße Eifel–Ardennen“ wird kurz vor Vianden durch eine riesige Anlage unterbrochen, die das gesamte Tal ausfüllt und sich weit in den Berg eingegraben hat. Es ist das Pumpspeicherwerk Vianden, das seit 1976 auch Strom in die Nachbarländer liefert und für das die Our zu einem See gestaut wurde. Vianden, die größte Stadt an der Our, ist im Sommer ein einziger fun fair, von holländischen Touristen überlaufen. Jedes zweite Haus scheint ein Café oder ein Restaurant zu sein, und vor dem Sessellift, der die Besucher über die Our den Berg hinaufträgt, bilden sich lange Warteschlangen. Die ehemalige Burg der Grafen von Vianden wird seit der Übernahme durch den luxemburgischen Staat 1977 planmäßig restauriert und auch zu Ausstellungen genutzt. Daß Victor Hugo in Vianden ein paar Monate seines Lebens zugebracht hat, hat ihm die Ehre eines Museums und eines Hotels eingetragen, die seinen Namen führen.

Die letzte Etappe an der Our führt wieder durch unbeachtetes Hinterland. Das letzte Dorf auf luxemburgischer Seite ist Bettel, wo es so ruhig ist, daß die Hunde auf der Straße schlafen. In Wallendorf, wiederum auf deutscher Seite, kann man einen Gang zum örtlichen Campingplatz machen, um die Our in die Sauer münden zu sehen. Kinder suchen im seichten Flußbett nach flachen Steinen. Ich klemme mich auf den schmalen Balkon der kleinen Kneipe, die sich „Café Europa“ nennt, und lasse die Bilder vorüberrollen. Direkt vor mir verläuft die Brücke über die Sauer, zugleich der nun völlig offene Grenzübergang ins luxemburgische Wallendorfbrück. Ein paar belgische Touristen verständigen sich mit den deutschen Anwohnern über eine Wegverbindung im jenseitigen Großherzogtum. Auf moselfränkisch. Europa, voilà.

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