: Polizeiwillkür und Verfolgung
Die Flüchtlinge, die jetzt aus Deutschland nach Rest-Jugoslawien abgeschoben werden sollen, erwartet in ihrer Heimat nichts Gutes / Vor allem Kosovo-Albaner und Muslime bedroht ■ Von Rüdiger Rossig
Berlin (taz) – Von außen betrachtet hat sich die Lage in Rest- Jugoslawien entspannt: Gestern rief der starke Mann der Hauptstadt Belgrad, Serbiens Präsident Slobodan Milošević, erneut seine Landsleute in Bosnien zum Frieden auf; das UN-Embargo gegen den aus den exjugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro bestehenden Staat wurde schon vorher gelockert. Scheinbar spricht also nichts dagegen, die rund 100.000 Flüchtlinge aus Rest- Jugoslawien, die sich zur Zeit in Deutschland aufhalten, nach Hause zu schicken.
Doch für die Deserteure, die Flüchtlingsfamilien, die Angehörigen ethnischer Minderheiten stellt sich die Situation anders dar: Vor allem Albaner aus der seit 1987 unter serbischer Polizeiherrschaft stehenden Provinz Kosovo müssen mit Verfolgung durch die Belgrader Behörden rechnen. Nach wie vor kommt es in dieser Region im Süden Serbiens täglich zu Übergriffen der von Belgrad eingesetzten Behörden gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit. So verurteilte ein Gericht in der Kosovo- Hauptstat Priština gestern drei ehemalige Vorstandsmitglieder der Wirtschaftskammer des Kosovo zu Freiheitsstrafen zwischen 24 und 30 Jahren – sie hatten angeblich versucht, eine eigene albanische Kammer zu gründen.
Zudem werden nach Angaben des Kosovo-Informationszentrums in Priština immer wieder Schulkinder und Lehrer unter den abstrusesten Vorwürfen aus Klassenzimmern heraus verhaftet, private Feiern und politische Veranstaltungen gewaltsam von der Polizei aufgelöst. BürgerInnen albanischer Nationalität werden ohne Angaben von Gründen stundenlang verhört; gewaltsam erpreßte „Geständnisse“ gereichen den serbischen Gerichten zur Verhängung drakonischer Strafen.
Nicht viel besser sieht es im südserbischen Sandžak aus: Der Prozeß gegen 25 Angehörige der dortigen muslimischen Bevölkerung, der derzeit in Novi Pazar läuft, wirft ein Schlaglicht auf die Politik des sich nach außen als Friedensengel gebärdenden Milošević. Der Hauptbelastungszeuge Munir Sabotić wurde nach Angaben des Humanitarian Law Found, einer Menschenrechtsgruppe in der serbischen Hauptstadt, durch Schläge zu seiner Aussage gezwungen. Obwohl Sabotić dies mittlerweile öffentlich gemacht hat, drohen ihm und seinen Mitangeklagten hohe Haftstrafen wegen der „Bildung einer bewaffneten Organisation“.
Auch für Deserteure ist die Lage alles andere als sicher. Schon vor Beginn des Krieges 1991 hätten junge Männer, die das Land verließen, ohne vorher ihren Militärdienst geleistet zu haben, mit erheblichen Strafen zu rechnen gehabt, berichtet Dubravka Velat vom Belgrader Zentrum für Antikriegsaktionen: „Entweder sie wurden vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, oder sie mußten ihren Dienst nachträglich in den gefährlichsten Gebieten leisten.“ Aktuell kümmert sich eine Gruppe von dem Zentrum nahestehenden Anwälten um mehrere Prozesse gegen Deserteure. „Gesetzlich sind für Entfernung von der Truppe fünf bis fünfzehn Jahre Gefängnis vorgesehen“, so Velat, „aber das ist nur die halbe Wahrheit: Bis vor drei Jahren stand auf Desertion die Todesstrafe.“ Diese sei 1991 formal auf der restjugoslawischen Föderationsebene abgeschafft worden. In Serbien und Montenegro aber gelten nach wie vor die aus sozialistischen Zeiten ererbten schärferen Gesetze.
Wenn unter den jetzt von Abschiebung aus Deutschland Bedrohten solche Flüchtlinge sind, die zuerst aus der Kriegsrepublik Bosnien kamen und über Rest-Jugoslawien nach Deutschland einreisten, droht diesen eine „zweite Abschiebung“ – nach Bosnien. Denn Belgrad hat ob der katastrophalen wirtschaftlichen Lage im Lande zunehmend Probleme, seine über 400.000 registrierten Flüchtlinge aus Bosnien zu ernähren. Seit einigen Monaten wird ihr Status einer Überprüfung unterzogen: Wer aus als sicher geltenden Gebieten kam, verliert seinen Flüchtlingsstatus und damit das Recht auf staatliche Unterstützung. Nach Angaben aus Belgrad ist ungefähr jeder vierte Flüchtling von der Maßnahme betroffen. Doch die Definition von Nicht- Kriegsgebieten ist hoch problematisch: Eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte Liste des jugoslawischen Flüchtlingskommissars erklärt die meisten Gemeinden in Serbisch-Bosnien und der serbisch besetzten kroatischen Krajina für sicher. Gleichzeitig wird jedoch offen zugegeben, daß insbesondere für die 36.000 muslimischen Flüchtlinge die Rückkehr in serbisch kontrollierte Gebiete lebensgefährlich sein könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen