: Außen Kirche, innen Tiefgarage
■ Bauliche Vergangenheit, Baustellengegenwart und deutsche Zukunft des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt
Die nicht mehr existierende DDR wird sich in den Köpfen der die Hauptstadt besuchenden Schulklassen noch lange in Beton manifestieren. Dafür wird neben dem Handel mit Mauerresten ab Anfang 1996 auch wieder die Ausstellung „Fragen an die Deutsche Geschichte“ sorgen.
Denn diese historische Revue, diese Pflichtveranstaltung berlinreisender SchülerInnen, die bis vor knapp zwei Wochen im Reichstag zu sehen gewesen war, soll in eineinhalb Jahren im Deutschen Dom wiedereröffnet werden. Und in dessen historischen Mauern hat die DDR kurz vor ihrem Ende eine skurrile Beton-Architektur eingezogen, die sich den kommenden Besuchsgenerationen unauslöschlich einprägen wird.
Die Baugeschichte des sogenannten Deutschen Domes, der nun schon über zehn Jahre eingerüstet ist, erzählt von einigen vergeblichen Hoffnungen in der deutschen Geschichte. Als die Kirche 1708 errichtet wurde, bildete sie das bauliche Pendant zur gegenüberliegenden Kirche der französischen Hugenotten-Gemeinde T. Schon Ende des 18. Jahrhunderts genügten die barocken Rundbauten dem preußischen Repräsentationsbedürfnis aber nicht mehr, das mit dreistöckigen Wohnhäusern und Schauspielhaus einen neuen Ton der Palastarchitektur angeschlagen hatte. Statt des erwogenen Abrisses beauftragte Friedrich II. seinen Baumeister Gontard, den bescheidenen Kirchen Turmbauten vorzulegen. Im Sprachgebrauch verschliffen sich die „Türme“ zwar bald zum „Dom“, doch Anerkennung fand Gontards Lösung, ein Kreuz aus klassischen Säulen-Portiken in die Konchenblume zu schieben, nur bedingt. Ein Zeitgenosse kritisierte den „Zuckerbäcker“-Stil der Collage. Der Architekturmaler Hasenpflug korrigierte die Wirklichkeit auf eigene Faust, indem er 1822 statt der Kirche ein von Schinkel geplantes Langhaus in eine Platzansicht zeichnete.
Mit schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg endete die sakrale Nutzung des Deutschen Doms, der zur im Westteil der Stadt gelegenen Jerusalem-Gemeinde gehörte. 48 Jahre lag die Kirche in Trümmern – und speicherte Feuchtigkeit, die der Rekonstruktion bis heute zu schaffen macht: Noch müssen bis zu 200 Liter Wasser pro Kubikmeter Mauerwerk ausgeschwitzt werden. In den Siebzigern wurde die Kirche dem Ost-Berliner Magistrat übergeben, der 1983 mit Sicherungsarbeiten begann. Die geplante Rekonstruktion zur 750-Jahr-Feier schaffte man nicht.
Mit der Wende trat das Zentrum für Kunstausstellungen der DDR als neuer Nutzer auf den Plan, die dort eine Ausstellungsmaschine für zeitgenössische Kunst einbauen wollte. Das bauliche Konzept, das zwischen dem Bedarf an Ausstellungsfläche und dem Erhalt des Baudenkmals vermitteln sollte, ist ein Paradebeispiel für brutalen Umgang mit historischer Bausubstanz.
Um die Fassade zu erhalten und die Tragfähigkeit der Wände zu sichern, wurde ein Betonskelett eingezogen. Eine Zwischendecke und Galerien schneiden Nischen und Fenster ab und gliedern die Kuppelhalle in Geschosse, die an eine Tiefgarage erinnern. Die breite Treppe, die sich im Turm hochschraubt, gleicht einer Auffahrtsrampe. Überzeugen konnte das Konzept, den verpaßten Anschluß an die zeitgenössische Kunst in diesen schwer bespielbaren Räumen nachzuholen, kaum.
Um die alte Hülle mit einer Hochleistungsarchitektur auszurüsten, die der Flexibilität eines gewinnbringenden Ausstellungsbetriebes genügen könnte, veranschlagte man 65 Millionen Mark. Doch es fand sich kein Träger, und das Land Berlin, Eigentümer der Baustelle, konnte den Umbau nicht bezahlen. Zudem erwies sich, daß die Feuchtigkeit der Mauern die Herstellung eines Raumklimas nicht zuließ, das die Sicherung von prominenten und entsprechend teuren Kunstwerken verlangt. So wurde der Innenausbau Ende 1990 gestoppt und nur die Wiederherstellung der Fassade weiterbetrieben. Der Bund half dem Land Berlin aus der Verlegenheit: Seine Idee war es, die „Fragen an die Deutsche Geschichte“, die als symbolischer Stellvertreter des Bundestages vor diesem nun aus dem Reichstag weichen mußte, hier vorläufig unterzubringen. Ganz nebenbei bekommt der „Deutsche Dom“ so auch einen deutschen Inhalt: Aus der Baustelle wird ein Ort nationaler Identitätsfindung.
Im Oktober 1993 verpflichtete sich der Bund in einer Überlassungsvereinbarung mit dem Land Berlin, die Kosten von 32 Millionen Mark für den Umbau zu übernehmen. Das Architekturbüro Jürgen Pleuser und Volker Staab erarbeitete mit den Ausstellungsmachern des Bundestags ein neues Raumkonzept. Mit ihm werden die Betoneinbauten, deren Abriß zu aufwendig und teurer wäre, zu einem Dokument der Endzeit der DDR. Das alte Mauerwerk der Kirche, dessen Putz abgeschlagen werden mußte, damit die Mauern trocknen können, soll von einer durchlässigen Kunststoffhaut umhüllt werden: Sie läßt die Struktur des alten durchscheinen und isoliert Decken, Galerien und Pfeiler aus Beton als Fremdkörper. Der sozialistische Eingriff wird unverschleiert zum Monument.
Die Nutzung durch die „Fragen an die deutsche Geschichte“ sichert die für eine endgültige Sanierung notwendige Austrocknung, während Leerstand den Verfall beschleunigen würde. Endgültig ist ihre Etablierung im Deutschen Dom aber nicht – dann wird noch einmal über Nutzung und Architektur nachgedacht. Katrin Bettina Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen