27. Oktober 1989: Konsumverbesserung
■ Fünf Jahre danach – eine taz-Serie
Das Neue Deutschland fragt auf Seite eins Willi Stoph: „Wie geht der Ministerrat an seine neuen Aufgaben heran?“ Mit dieser Frage ist das ND nicht alleine.
Dauernd und überall im Land sind Menschen auf der Straße und stellen mit ihren Demonstrationen klar verständliche Forderungen an die SED- Führung und die Regierung: Reisefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Zulassung des Neuen Forum.
Die Antwort auf ihre vorsichtigen Fragen liefert das Neue Deutschland in der Unterzeile gleich mit: „Zusätzlicher Import von Konsumgütern und Lebensmitteln/ Spürbar sollen Produktion und Angebot von Ersatzteilen verbessert werden“.
Ich fühle mich von derartigen Artikeln geohrfeigt. Als wenn das ganze Theater, die Proteste, die Demonstrationen, nur deswegen veranstaltet worden wären, damit im RFT-Geschäft am Alexanderplatz endlich Videorekorder verkauft werden könnten; was derzeit allerdings passiert: für 6.000 Mark das Stück.
Die Schlangen, die sich ab heute vor dem Laden bilden, scheinen den Herren Recht zu geben. Ein Freund hat mich angerufen und mir erzählt, was sich dort, am Alexanderplatz, tut. Der Unterton seiner Mitteilung war klar: Ich soll mir gefälligst anschauen, in welcher Menge sich meine Mitbürger ihren Schmer abkaufen lassen, bevor ich das nächste Mal Worte wie „das Volk“ im Munde führe.
Natürlich fahre ich hin. Natürlich sehe ich mir das an. Junge Leute in adretten gestreiften Uniformen werfen Glasperlen unter die Leute. Soll heißen: Als ich am Nachmittag an der Verkaufsstelle vorbeischlendere, gibt es längst keine technischen Geräte mehr. Die Verkäufer sind damit beschäftigt, die Leute auf den nächsten Tag zu vertrösten.
Zähneknirschend verlassen Familienväter das Geschäft. Zähneknirschend fahre ich nach Hause. Wolfram Kempe
Unser Autor ist Publizist und Schriftsteller. Er lebt in Berlin.
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