: Das Ende einer Trauerzeit
■ Hyun-Sook Songs Film „Mein Herz ist eine Flasche“
Mein Herz ist eine Flasche: Dieses merkwürdige Bekenntnis lockte Prominenz aus Hamburgs Bildender Kunst am Mittwoch abend ins Metropolis. Nicht szene-typische Trinkerproblematik stand an, sondern die Preview von Hyun-Sook Songs Kulturforschung, ein Ereignis, daß es eigentlich – im Interesse des „Neuwerts“ des Films für Festivals – gar nicht geben durfte. Die Kultursenatorin persönlich thematisierte einleitend die Art des Umgangs miteinander in dieser offen raffgierigen Gesellschaft und empfahl schließlich Neugier als den wichtigsten Annäherungspunkt an das Fremde. Und das Fremde brach dann in intensiven Bildern ein: Die bei Hamburg lebende koreanische Künstlerin zeigt in dem Film Mein Herz ist eine Flasche die Rituale zum Ende der dreijährigen Trauer um ihren 1990 an einem Stromschlag im Reisfeld verunglückten Bruder. Nur in den ländlichen Gegenden Ostasiens haben Konfuzianismus und moderne Industriekultur die alten schamanischen Praktiken noch nicht völlig zurückgedrängt. So erinnert der Film dokumentarisch an den Ssitgim-Kult, der seinerseits die Formen der Erinnerung gestaltet. Dabei sieht der Betrachter im Kino auch immer wieder die Zuschauer des öffentlichen Rituals im Film, so daß er die Wahl hat zwischen Hingabe an die ruhig gefilmte Trance und die ethnologische Reflexion auf die faszinierende Art des Umgangs mit Speisen und Stoffen.
Hyun-Sook Song und ihr Partner und Ko-Regisseur Jochen Hiltmann von der Hochschule für bildende Künste betreiben alles andere als new-age-mäßige Kultnostalgie. Gerade die Distanz zu Korea und seinen Ritualen führt zur Erkenntnis der großen Ähnlichkeit künstlerischer und schamanischer Performance und Objektnutzung. Das ist natürlich spätestens seit Joseph Beuys nicht neu. Was bleibt, ist ein Blick zurück dahin, wo das Ritual noch Realität ist und nicht nur Theater bedeutet. Bambusstangen in einer Reisschale locken die Geister als „Antennen“, kunstvolle Knoten in weißen Baumwolltüchern bindet den Gram, und das Öffnen entläßt alle Trauer ins Jenseits: „Wenn ich den Knoten des Herzens löse, werde ich leicht, wie ein Schmetterling.“
Hajo Schiff
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