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"Fuck the tradition!"

■ Rappen über Rassismus: ein Gespräch mit Gary Thomas, der heute abend im Quasimodo auftritt

Bei Miles Davis will er gekündigt haben, weil er keine Lust hatte, immer nur aus der zweiten Reihe zu tröten. Mit Jack DeJohnette hielt er es schon etwas länger aus. Wenn der Tenorsaxophonist und Flötist Gary Thomas, Jahrgang 1961, mal nicht über Rassismus, Kriminalität, Drogen und Straßengangs rappt, dann spielt er „Post-Bop-Out-Jazz“ – wie auf seinen Instrumental-CDs „Till we have Faces“ (JMT) und „Exile's Gate“ (JMT) oder wie heute abend im Akustik-Trio mit Anthony Cox und Gene Jackson. Thomas lebt in Baltimore, Christian Broecking sprach mit ihm in Berlin.

taz: Sie wollen keiner Szene so richtig zugehören. Wie steht es denn mit der Tradition des Jazz?

Thomas: Jazz bedeutet für mich Improvisation. Ich will jedoch weder etwas mit dem ganzen Redefinitionsgerede über Jazz zu tun haben noch mit irgendeiner Modebewegung. Einer Bewegung anzugehören bedeutet vor allem, daß man sich unterordnen muß. Das will ich nicht. Ich habe die Nase voll von Musikern, die ständig darüber reden, wem sie sich zugehörig fühlen. Diese Typen haben meist keine eigene musikalische Richtung. Musikalische Trittbrettfahrer gibt es eben auch im Jazz viel zu viele.

Es geht nicht einfach nur darum, etwas zu rappen und ein paar neue Grooves abzuspielen. Ich bemühe mich um einen musikalischen Ausdruck dessen, was mich bewegt. Ich versuche, eigene Musik zu kreieren und zu spielen. Das hat nichts damit zu tun, welche Fahnen die Szenen gerade aufziehen. Sicher ist es wichtig, sich in der Musik auszukennen, die man spielt. Aber es kann nicht darum gehen, sich im Handwerk zu verlieren. Standards, Bebop, alles das, was man heute so Tradition nennt, habe ich auch durchgekaut. Aber für mich macht das Studium des Jazz erst Sinn, wenn man die Tradition auch benutzen kann. Für etwas anderes, Eigenes, Neues vielleicht. Denjenigen jedoch, die mit dem Traditionshammer heute auf alle einschlagen, die sich außerhalb stellen, kann man nur antworten: Fuck the tradition!

Worum geht es Ihnen denn?

Es ist schwer zu ignorieren, was um einen herum geschieht. Wir rappen darüber, wo und wie wir leben. Rassismus zum Beispiel. Jeder Atemzug, den wir machen, ist damit angereichert. Die Abschaffung der Rassentrennung hat den Rassismus nicht beseitigt. Im Gegenteil. Es muß sich etwas ändern, aber wir Schwarzen haben keine Macht. Also warten wir ab.

Welche Rolle spielt die HipHop-Bewegung dabei?

Über HipHop erfahren die Leute aus den Mündern von Schwarzen erst mal, was Sache ist. Was um sie herum geschieht. Viele denken heute, daß die rappenden Kids sich nur auskotzen wollen. Aber das ist nicht alles: die Kids sind zornig, und sie haben allen Grund dazu. Aber das beschränkt sich nicht auf den HipHop. Es gibt auch die Riots, vieles passiert auf den Straßen.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Ihrer Musik in Amerika?

Keine. Ich trete in Amerika kaum auf. Im vergangenen Jahr habe ich ganze sieben Gigs in den Staaten gespielt. Drei bis vier Monate toure ich in Übersee. Ich spiele eigentlich ausschließlich in Europa und Japan. Die Amerikaner sind so abhängig von ihren Kategorien, daß ich da nicht reinpasse. Meine Musik ist vielleicht zu aggressiv für das amerikanische Publikum. Hier scheint es anders zu sein. Aber wenn ich in Amerika sage, daß ich Jazz spiele, antworten sie, „Yeah Man, wir mögen Jazz“ und erwarten dann jene easy-listening-Schnulzen, die sie Jazz nennen. Wenn wir dann spielen, fragen sie, „warum seid ihr so laut, warum so zornig?“ das heißt, daß sie uns nicht gebrauchen können.

Wo kommen Sie denn an? In Japan etwa?

Ich glaube nicht, daß die Menschen dort alles verstehen, worüber wir rappen. Aber einiges wohl schon. Überall wo man hinkommt, gibt es doch Rassismus. In Japan, auch in Deutschland. Womit ich nicht sagen will, daß hier alle Rassisten sind. Jedoch haben auch hier viele ihre Probleme mit Leuten, die eine schwarze Hautfarbe haben. Das spüre ich, das weiß ich. Ich merke es daran, wie man mich angafft. Jedesmal wenn ich an eine Grenze komme, werde ich vom Zoll gefilzt, obwohl ich noch nie etwas mit Drogen zu tun hatte.

Als wir in Finnland waren, haben irgendwelche Leute unseren Bassisten mit Lakritz beworfen, als er durch die Straßen schlenderte, und ihn als „Nigger“ und „Bimbo“ beschimpft. Oder was ist mit jenen japanischen Diplomaten, die sich weigern, einem Schwarzen die Hand zu geben, weil sie befüchten, davon schwarz zu werden?

Mit Rassismus haben wir auch hier in Europa jeden Tag zu tun. Wir schlagen hier die Zeitung auf und lesen von irgendwelchen Typen – Leute, die gar nicht in Amerika leben – die meinen, wir Schwarzen in Amerika zerstören die Qualität der Neighborhood, in der wir leben. Einfach nur dadurch, daß wir dort leben.

Ich lebe in einer schwarzen Community. Jetzt frag bitte nicht, was das heißt. Alles was ich sagen kann: keiner läuft bei uns herum, um seinen Nachbarn umzubringen. Nicht einfach so. Wir werden provoziert. Vielleicht scheinen wir etwas verrückt zu sein, vielleicht ist bei uns nicht alles in Ordnung, aber das hat Gründe, die tiefer liegen. Davon handelt unsere Musik.

Heute, 22 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12a, Charlottenburg.

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