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Dienstreisen und andere Unabhängigkeitsfragen Von Klaudia Brunst

Nicht, daß ich nicht gerne in einer festen Beziehung leben würde. Ich stehe durchaus hinter der Institution Ehe. Hin und wieder allerdings vermisse ich mein altes Junggesellenleben schon etwas, jene glücklichen Zeiten also, als die Nacht noch lang und der Tag bestenfalls zum Fernsehgucken da war. Als die Becks-Dosen nie und die Flirts selten gut ausgingen, als die „West“ noch nicht „light“ und die Welt noch nicht so überschaubar war. Und so genieße ich es, wenn mich meine Freundin einmal im Jahr zur Strohwitwe macht. Denn eine alte Tradition ihres Kinderladens will es so, daß sie die Herbstferien auf „Kinderreise“ verbringt – und ich dann eine sturmfreie Bude habe.

„Glotz nicht bis in die Puppen, und daß mir die Küche am Freitag nicht wieder wie ein Saustall aussieht!“ meinte sie also letzten Sonntag. Dann schloß sich die Tür. Ich war frei.

Äußerst vergnügt kramte ich meinen 89er Frauenkalender mit den alten Telefonnummern aus der Schublade hervor: Micha hat erst neulich irgendein besoffenes Zeug auf meinen AB gequatscht, müßte also noch in der Stadt sein. Andrea und Manou führen seit eh und je eine offene Ehe, haben also eigentlich immer Zeit. Eva hat sich die Freiheit gerade wieder erkämpft, sie hat sich letztens von ihrer Freundin getrennt. Bärbel ist 1992 nach Freiburg gezogen, also gestrichen. Aber in ihrer Wohnung wohnt jetzt Pe, und die war auch nie eine Kostverächterin.

Gutgelaunt besprach ich also diverse Bandmaschinen: „Hallo Micha (Eva/Manou/Andrea/Pe), du hast Dich ja lange nicht mehr gemeldet ... Laß uns doch mal wieder einen draufmachen!“ Dann sicherheitshalber noch meine Telefonnummer und der Hinweis, daß es mir diese Woche am besten passen würde.

Die Zeit bis zu den eintrudelnden Rückrufen nutzte ich zum Stiefelputzen und Hemdenbügeln. Als bis um sechs die Leitung immer noch tot war, wischte ich sicherheitshalber schon mal die Küche (man muß sich den Ärger ja nicht ins Haus holen) und sprang in letzter Minute noch zum Nachschneiden der Hinterkopfkonturen zum Friseur an der Ecke.

Als ich gegen sieben mit einem äußerst sub-tauglichen flat-top zurückkam, blinkte mein Anrufbeantworter: Sechs Calls. Na, wer sagt's denn!

Das erste war Pe. Sie würde ja total gerne, aber ihrer Freundin ginge es gerade nicht so gut, und da könne sie leider nicht weg. Micha hatte während der ganzen Minute Sprechtext in ihrem Personal-Organizer nach einem freien Termin gesucht, aber dann vergessen, ihre neue Funknummer aufs Band zu sprechen. Andrea und Manou riefen getrennt an: Ihre Paartherapeutin habe ihnen zwar „wieder mehr Eigenständigkeit“ verordnet, aber leider auch bis auf weiteres den Sub untersagt. Eva hatte die niederschmetterndste Ausrede: Sie habe sich gerade mit ihrer Freundin versöhnt.

Der letzte Anruf war von meinem schwulen Freund. Sein Liebster sei seit gestern auf Tagung in Osnabrück, und jetzt fiele ihm „irgendwie total“ die Decke auf den Kopf. Ob wir beiden Strohwitwen uns nicht einen lauschigen Fernsehabend machen könnten. Er hätte da noch ein paar Flaschen Clausthaler und würde mir auch – wie ich es von meiner Freundin gewohnt sei – ein Äpfelchen schälen.

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