: Wo bleibt die Türkei?
Nachschlag zur Buchmesse
Wo bleibt die Türkei?
Bereits in den späten 80er Jahren war im Gespräch, die Türkei zum Themenschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse zu machen. Allerdings kam es nie zu ernsthaften Bemühungen. Auf der diesjährigen Buchmesse drehte sich alles um Brasilien. Doch auch der türkische Kultusminister Timurçin Savaș war eigens angereist und überreichte dem Messedirektor Peter Weidhaas einen offiziellen Antrag, die Buchmesse 1998 der Türkei zu widmen. Das wäre ein Jahr von kultureller Bedeutung für die Türkei, da dann auch das siebzigste Jubiläum des Übergangs vom arabischen zum lateinischen Alphabet gefeiert werden soll. Die Einführung des lateinischen Alphabets war ebenso wie die allgemeine Schulpflicht eine der bildungspolitischen Reformen, die mit der Gründung der Republik durchgesetzt wurden. Dieses Jubiläum gilt heute vielen als Zeichen für den Erhalt einer modernen, säkularisierten, westlich orientierten Türkei.
1998 soll aber auch das fünfzigste Jubiläum der Frankfurter Buchmesse gefeiert werden, vorzugsweise mit einem deutschen Festival. Die türkische Delegation wurde deshalb auf spätere Jahre vertröstet. Darüber hinaus verwies Peter Weidhaas auf die heikle Frage der Menschenrechte in der Türkei. Der Kultusminister aus den Reihen der sozialdemokratischen Partei, (SHP), der erst seit zwei Monaten im Amt ist, reagierte sehr offen. Mit Problemen dieser Art solle man sich direkt an ihn wenden, er wolle versuchen, zur Lösung beizutragen. „Die Probleme unseres Landes sind uns bewußt“, erklärte er, aber „wir verbieten die Verbote.“ Er erläuterte die angestrebten Programme zur Einrichtung von öffentlichen Bibliotheken und zur Literatur- und Leseförderung.
Bei einer Abendveranstaltung zum Thema „Kultureller Austausch zwischen den Generationen im Ausland lebender Türken“ zeigte sich der Minister interessiert an den kulturellen Belangen der Türkei in Deutschland, insbesondere an Wechselwirkungen zwischen den Kulturen. Bezeichnend war allerdings, daß die Diskussion im DGB-Haus stattfand, in türkischer Sprache vor zahlreichem, rein türkischem Publikum. Offenbar leben große Teile der deutsch-türkischen Bevölkerung geistig noch in der Türkei. Für sie ist der Auftritt des türkischen Kultusministers ein bedeutsameres Ereignis als etwa die deutschen Bundestagswahlen, an denen sie sowieso nicht teilnehmen dürfen.
Unter der Hand zirkulierte währenddessen ein fotokopierter Aufruf, der die Bedrohung der Meinungsfreiheit in der Türkei anprangerte. Das Schreiben, offensichtlich für den innertürkischen Gebrauch bestimmt, hatten etwa hundert Verlage unterzeichnet, darunter etablierte große Verlage ebenso wie links-alternative oder religiös-fundamentalistische. Insgesamt 104 Intellektuelle säßen aufgrund von Meinungsäußerungen in Gefängnissen, innerhalb eines Monats seien 54 Zeitschriften und Bücher verboten worden, nach dem Terrorbekämpfungsgesetz würden Bücher mit Waffen gleichgesetzt und als Terrorinstrumente diffamiert. Die guten Absichten des neuen Kultusministers haben sich offenbar gegen Repressionen dieser Art noch nicht durchsetzen können. Die Verbote richten sich in erster Linie gegen „staatsfeindliche“ Publikationen zum Kurdenproblem. Die Unübersichtlichkeit der innertürkischen Debatten stimuliert in Deutschland kaum Interesse, sondern trägt eher zum Entstehen von Berührungsängsten bei.
Auf der diesjährigen Buchmesse war die Türkei ausschließlich durch einen kollektiven Stand des türkischen Kultusministeriums vertreten. Einundvierzig Verlage waren daran beteiligt. Diese Auswahl war allerdings kaum repräsentativ. Um einen Einblick in die reichhaltige und vielfältige Produktion der türkischen Verlage zu bekommen, müßte man die Buchmesse in Istanbul besuchen, die jährlich Anfang November eröffnet wird. Dort würde man nicht nur interessante zeitgenössische türkische Autoren und Autorinnen finden, sondern auch Umberto Eco, Roland Barthes, Robert Musil, James Joyce, Paul Auster, Jürgen Habermas, Peter Handke, Sten Nadolny und viele andere in türkischer Übersetzung.
In Frankfurt hingegen fiel die Präsentation steif und unbeholfen aus. Im Vordergrund standen schön gemachte touristische Bildbände über Landschaft, Architektur oder Teppiche. Hier wurden keine Verlagsgeschäfte abgewickelt, keine Kontakte zu internationalen Agenturen oder Verlagen geknüpft. VerlegerInnen oder AutorInnen, die das literarische Leben in der Türkei prägen, waren nicht anwesend. Der deutschsprachige Katalog mit Kurzbeschreibungen der ausgestellten Bücher strotzt von Sprachfehlern und dient allenfalls der Belustigung, bietet aber keinerlei Anreiz für das deutsche Fachpublikum.
Für lesenswerte Literatur aus der Türkei findet sich in Deutschland bekanntlich weit und breit kein Verleger. Von türkischen Autoren möchte man allenfalls die herrschenden Vorstellungen vom ländlich ursprünglichen oder fundamentalistisch brutalen Orient bestätigt sehen. Exotische Bilder von der Karawanserei, in der schwarzäugige Menschen „schwarzen Tee mit drei Stück Zucker“ trinken, verkaufen sich allemal besser als literarisch ernstzunehmende Romane aus der 11-Millionen-Metropole Istanbul. Leicht lesbar sollen die Erzählungen der türkischen Dichter sein. Differenziertere Reflexionen behält man sich lieber selbst vor. Auch die Arbeit engagierter Kleinverlage, sämtliche Anthologien und Lesungsreihen haben an dieser verzerrten Wahrnehmung noch nichts geändert und nur wenige Einzelveröffentlichungen von Bedeutung nach sich gezogen. In der betulichen Nische wohlmeinender Ausländerkulturarbeit werden die Klischees weiterhin zementiert. Die offizielle Präsentation seitens des türkischen Kultusministeriums fügte sich restlos in dieses Bild. Die mühevolle Arbeit, literarische Werke von Weltniveau auf dem Buchmarkt zu vermitteln und gegen die herrschenden Erwartungsmuster anzurennen, blieb wieder einmal an wenigen engagierten ÜbersetzerInnen hängen. Deniz Göktürk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen