: Die Uni-Krisen Ost und West vereinigt
Vor fünf Jahren brachen die Studierenden der DDR zaghaft auf. Doch die Erneuerung ihrer Universitäten war kein Startsignal für eine gesamtdeutsche Reform. Die Realität Ost hatte sich den importierten Gesetzen West anzupassen. ■ Von Peer Pasternak
Vor fünf Jahren kündigte der ostdeutsche Kleinbürger den Gesellschaftsvertrag mit seinen kleinbürgerlichen Anführern auf. Auf seiten der Herrschaftsunterworfenen war das durchaus mit heroischen Anwandlungen verbunden. Deshalb nennen wir dies seither die erste gelungene Revolution in Deutschland. Die Studierenden waren nicht deren Speerspitze gewesen. Das einte sie mit Gemüsehändlern, Produktionsarbeitern oder Betriebsabteilungsleitern – also ihren Eltern. Es gab keine durch ihr Sozialmilieu bestimmte Gruppe, die Träger des überraschenden Vorgangs war. Freilich gab es solche Gruppen, die seine emanzipatorischen Chancen nutzten.
Die DDR-Studierenden organisierten sich selbstbestimmt. Von Lenin und dem Neuen Forum schauten sie sich den Rätegedanken ab. Die Organisationsfrage ist zentral in einer Revolution, hatten sie in den Zwangsvorlesungen zur Geschichte der KPdSU gehört. Folglich gründeten sie StudentInnenräte und einen dazugehörigen Dachverband. So entstand ein Rahmen zur Umsetzung inhaltlicher Projekte. Nach fünf Jahren wäre nun mal zu fragen, was daraus geworden ist. Alsdann: Fragen wir.
In der DDR gab es ein elternunabhängiges Stipendium. Die StudentInnenräte fanden wenigstens die Idee mit der Elternunabhängigkeit übertrag- und die Bafög- Verwaltungskosten in Stipendien transferierbar. Sie hatten ein Konzept und einen (in dieser Frage) aufgeschlossenen Bildungsminister. Das ließ sie selbstbewußt sein und entsprechende Initiativen starten.
Allein, die Debatte verendete noch in und mit der DDR. Seither ward nichts mehr davon gehört, auch nicht von dem (in dieser Frage) aufgeschlossenen Minister. Die Bafög-Regelungen kosten weiterhin Hunderttausende StudentInnen Nerven und Studienzeit. Sozial ist das bezüglich der beschäftigungspolitischen Wirkungen in den damit befaßten Ämtern. Immerhin ein Trost. Dann wollten die Ost-StudentInnenräte den großen Angriff starten: Das ordinarial inspirierte Hochschulrecht der ehemaligen Bundesrepublik sollte aus den Angeln gehoben werden. Es war so schön, grundsätzlich zu sein. Konzile wurden in Viertelparitäten gewählt. Die staatlich garantierten Mehrheiten der Professoren fielen.
Plebiszitäre Fingerübung
Die altlastgesättigte Professorenschaft fand sich unter gezielter Ausnutzung ihres schlechten Gewissens zu demokratischen Verfahren gedrängt. Die neuen Uni- Verfassungen schrieben plebiszitäre Fingerübungen fest.
All das sollte sich wiederfinden in den Hochschulgesetzen der erneut gebildeten Länder. Doch der Souverän hatte wie so oft völlig daneben gewählt. So wurde es mit der radikalen Demokratisierung der Hochschulen wieder einmal nichts. Statt dessen kamen auswärtige Berater. Die hatten alle eine Diskette im Gepäck mit vermeintlich bewährten Gesetzen drauf. Nicht Textbausteine wurden der Realität angepaßt. Nein, die Realität hatte sich dem importierten Text zu nähern. Deutschlandkompatibilität hieß die allseits überzeugende Losung dafür.
Was indessen vorkommen durfte, waren Verschärfungen gegenüber der westdeutschen Gemütlichkeit. Normierte Studiengänge und Hochschulaufenthaltszeiten, drastische Eingriffsmöglichkeiten der Ministerien, Hochschuleingangsprüfungen und dergleichen: Während im Westen noch heftig diskutiert wurde, schrieb es der Osten einfach in seine Gesetze. Der sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer weiß auch, warum: „Der Spinner und Flenner, der Chaoten und Scharlatane gibt es in Deutschland weiß Gott mehr als genug. Deren Schar brauchen die Hochschulen nicht zu vermehren.“
Der Weg dahin fand sich, Hochschulerneuerung genannt. Hochschulstrukturen und Wissenschaftsinhalte betreffend, konnten wir eine Wollustorgie des Opportunismus beobachten. Daß kaum Geld da ist (weil die Prioritäten falsch gesetzt werden, wie wir klug hinzufügen wollen), gab ein variantenreich einsetzbares Argument dafür ab. Sofern es um das Personal ging, war der Erneuerungsvorgang ein zufälliger Prozeß. Er traf oder er traf nicht. Er traf die Falschen und die Richtigen. Wichtig nur: Er richtete zu auf die neuen Verhältnisse.
Eine anfangs sogar im Westen euphorisierende Idee war: Die ostdeutsche Hochschulerneuerung könnte zum Ausgangspunkt einer gesamtdeutschen Wissenschaftsreform werden. Wäre sie ja vielleicht auch, wenn mal eine Frage zu beantworten versucht worden wäre: Warum eigentlich müssen zwei unterschiedliche Wissenschaftssysteme um jeden Preis in kürzester Zeit vereinheitlicht werden?
Drei Antworten sind gegeben worden. Weil wir das in allen Bereichen so machen, denn es ist der Wählerwille: eine Aussage von hochnormativer Begründungskraft. Weil wir Chancengleichheit für die studierenden und lehrenden Brüder und Schwestern herstellen müssen: Ein Zeugnis eindrucksvollen Selbstbewußtseins, gestützt durch die noch eindrucksvollere Gesundheit des westdeutschen Wissenschaftssystems. Weil alles andere viel zu teuer wäre: Das hilft uns, die Mechanismen von Verteilungspolitik zu begreifen. Denn der Massenabbau akademischer Beschäftigungsmöglichkeiten ist selbstredend kostenneutral.
So haben wir nun also ein ansehenswertes Ergebnis der die äußere Einheit vollendenden Obsessionen: die erfolgreiche Vereinheitlichung der ost- und der westdeutschen zur gesamtdeutschen Hochschulkrise. Gefragt werden müßte vielleicht: Wären nicht produktive Provisorien sinnvoll und möglich gewesen – der Wissenschaftsosten als innovatives Testfeld? Historisch Interessierte könnten ja mal drüber nachdenken. Doch jede Veränderung verschlingt auf ihrem Wege eine gewisse Anzahl Illusionen.
Wenigstens aber ist uns am letzten 16. Oktober eines nicht verlorengegangen: das eindeutige hochschulpolitische Feindbild. Bei Rot- Grün hätten wir wieder unanständige Hoffnungen gehegt. Über deren Enttäuschung wären wir erneut unverhältnismäßig gealtert. Das bleibt uns nun erspart. Wir wissen weiterhin, wo der Gegner steht. Klare Verhältnisse bringen einen einprägsamen Orientierungsrahmen. Wenn die Frontlinie klar ist, kann im Hinterland auch mal gefeiert werden. So werden es die Studierenden dann wohl in den nächsten Jahren weiter tun: viele bedeutende Kongresse veranstalten zur existentiellen Krise der Hochschulen – als Rahmenprogramm für abendliche Feten und nächtliche Gelage.
Der Autor war Sprecher des Dachverbandes der Studentenräte.
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