: Auf los geht's los?
Fernseh-Spiele: Ein kleiner Streifzug durch die deutsche Gameshowgeschichte ■ Von Klaudia Brunst
„Herzlich Willkommen, wo immer Sie uns jetzt sehen – und ganz besonders in Jugoslawien“, lächelt uns Joachim „Blacky“ Fuchsberger durch die frontal auf ihn gerichtete Kamera an. Jugoslawien? Wie lange haben wir diesen Begriff schon nicht mehr ohne das „Ex“ vor dem „J“ gehört? Ja, hat denn Blacky den ganzen Bosnienkrieg verschlafen? Das jugoslawische Fernsehen, so erklärt er uns begeistert, habe „Auf los geht's los“, die ARD-Samstagabend-Spielshow, nun erstmals live in den eigenen Kanal übernommen – wegen der vielen deutschen Urlauber, die in der Ferne ungern auf ihre TV-Unterhaltung verzichten wollen. Fuchsberger hat uns in seiner sonst so ausführlichen Begrüßung eine wichtige Information vorenthalten: Wir schreiben nämlich den 25. August 1984 – die live-Show ist eine Aufzeichnung.
3sat zeigt im Nachmittagsprogramm ausgewählte Unterhaltungssendungen aus den letzten zwanzig öffentlich-rechtlichen TV- Jahren. Am Donnerstag hatte man sich nun an Blacky erinnert, weil oder obwohl am gleichen Abend seine Spielshow „Ja oder nein“ in der ARD lief.
Ganz offenbar war der Sommer 84 ins Wasser gefallen. Fuchsbergers kleine Anspielungen, mit denen er den live-Charakter seiner Show – den distanzmindernden Eindruck des Dabeiseins – immer wieder betont, deuten das an. Was fällt mir, zehn Jahre später, zu 1984 ein? Die olympischen Spiele, Ulrike Meyfarth hatte nach 12 Jahren in Los Angeles noch einmal Gold ersprungen. Allerdings in Abwesenheit der Ostblock-Athleten, es war die Dekade der Boykott- Spiele. Ulrike Meyfarth wird im Verlauf der Sendung Gelegenheit haben, ihre Olympiamedaille in aller Ausführlichkeit zu verteidigen: Ihre Konkurrentinnen seien auf dem parallel veranstalteten Wettkampf „Begegnung der Freundschaft“ nur 1,96m gesprungen. Meyfarth hatte 2,02m bezwungen.
Fuchsbergers Spielkandidaten haben da deutlich weniger Gelegenheit zur Selbstdarstellung. 1984 – das ist die noch selige Zeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Die private Konkurrenz hat zwar gerade den regulären Sendebetrieb aufgenommen, sich aber noch kaum formiert. Noch gelten also uneingeschränkt die Unterhaltungsregeln von ARD und ZDF. Und die machen eben am Samstag abend große Show, die Kandidaten haben da wenig zu melden. Sie stehen oder sitzen meist wartend in der Deko herum – allein die hat sich für den neuen Wettbewerb des dualen Systems schon gerüstet: Es blinkt und glitzert bei Fuchsberger, was das Zeug hält. Man ist eben noch bei reichen Leuten zu Hause. Das ist bei Rosenthals „Dalli Dalli“ wiederum ganz anders: Die sparsame Studioeinrichtung mit den „Langnese“-Waben stammt aus einer noch weiter zurückliegenden Dekade. Bereits 1971 ging die Prominentenspielshow auf Sendung, die Folge vom 17.10. 1974 wird 3sat dankenswerterweise am kommenden Donnerstag wiederholen. Bis 1989 hielt der kleine Rosenthal seine Stellung im Unterhaltungfluß des Fernsehens. Obwohl als Sinnbild der Spießerkultur verschrien, war „Dalli Dalli“ beim Publikum sehr beliebt, weshalb vermutet werden kann, daß Rosenthal seine legendären Luftsprünge heute bei den Privaten machen würde.
Die kamen erst Ende der Achtziger so richtig aus den Puschen: Mit den Dauerwerbeshows „Glücksrad“ (1988, Sat.1) und „Der Preis ist heiß“ (1989, RTL) führten die Privatsender ein schrilles, schnelles und billiges Unterhaltungssystem ein, an das sich die öffentlich-rechtlichen bald mit halbherzigen Kopien anzulehnen begannen. Mit jenem behäbigen Spielfluß, der Fuchsbergers sportliches Sendemotto „Auf los geht's los!“ von je her Lügen strafte, war es nun vorbei. Allein das ZDF hatte seit 1981 ein Pferd im Stall, das den neuen Parcours ohne Mühe abschritt: „Wetten, daß!?“, auch heute abend um 20.15 Uhr zu sehen, hatte 1987 den Jockey gewechselt. Sonnyboy Thomas Gottschalk gab Elstners Erfolgsshow neuen Drive. Hier standen, ähnlich wie bei den Privaten, die Kandidaten nicht in der Ecke herum, sondern wurden – als die ins Fernsehen gezogenen Zuschauer – zu Stars gemacht. Zwar gab es bei „Wetten, daß!?“ kaum etwas anderes als die Spielehre zu gewinnen, doch dieser Preis war und ist angesichts des Millionenpublikums immer noch heiß. Dagegen schmunzelt man doch sehr, wenn sich Fuchsbergers Tageschampion Patrick Richard 1984 so sehr über sein Preisgeld von 2.800 Mark freut. Viel hatte er dafür allerdings auch nicht leisten müssen: „Abenteuer eines Türöffners?“ – „Schlüsselerlebnis!“ „Mittelloser Getränkekonsument?“ – „Armer Schlucker!“ Trotzdem sieht man den Konkurrenten, vor allem der Passauer Sekretärin Silvia Szuminski, die Enttäuschung der Unterlegenen deutlich an. Die hatte in den Vorrunden deutlich vorne gelegen. Nur durch das unfaire Spielreglement war sie in der Finalrunde ausgespielt worden.
Aber um die Kandidaten geht es den Spielshows dieser Zeit auch kaum. Fuchsberger nimmt sich für seine prominenten Gäste viel mehr Zeit als für seine Mitspieler. Erst spät hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen von den Privaten gelernt, daß der Kandidat von heute der Zuschauer von gestern und morgen ist. Er soll sich angesprochen, ernstgenommen, glücklich fühlen. Nur dann schaltet er auch morgen wieder ein, wenn es heißt „Der Preis ist heiß“.
Von all diesem Quoten-Wettbewerb spürt man bei den alten Shows noch kaum etwas. Fuchsberger wendet sich, wie für die frühen Achtziger durchaus üblich, am Ende der Sendung ganz selbstverständlich an die Zuschauer vor dem Bildschirm. „Schön war es bei Ihnen“, findet er zum Abschied und schaut mich dabei lächelnd an. Die Kluft zwischen dem Sendeort Friedrichshagen und meinem Wohnzimmer in Berlin soll dahinschmelzen. Aber da sind ja noch die zehn Jahre vergangene Zeit, die auch die persönlichste Zuschaueransprache nicht wettmachen kann. Es ist 3sat zu danken, daß man uns die beiden alten Schlachtschiffe des deutschen Unterhaltungsfernsehens „Auf los geht's los“ und „Dalli Dalli“ noch einmal vor Augen führt: Selten wie nie erklärt diese Sendewoche, wie sehr sich unsere Fernsehlandschaft verändert hat. Deshalb würde ich mich freuen, wenn auch Sie am Donnerstag mal reinschauen, wenn es ein letztes Mal heißt: „Das war Spitze!“
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