■ Vom Nachttisch geräumt: Kriegsheimkehrer
Der 1951 geborene Peter-Jürgen Boock gehörte zur RAF. Seit 1981 ist er im Gefängnis, seit kurzem hat er Hafterleichterung. In „Mit dem Rücken zur Wand...“ erzählt er auf 121 Seiten von seinen Erfahrungen mit Baader, Ensslin und Meinhof, aber auch vom Leben in Stammheim und Fuhlsbüttel. Jetzt, als Freigänger, möchte er Politologie und Betriebswirtschaft studieren, „aber wahrscheinlich nur als Ausgangsbasis für Journalistik“. Wenn alles geklappt hat, hat er in der vergangenen Woche sein Studium begonnen. Ein großer Umweg. Auf die Frage „Ist Deine RAF-Zeit für dich verlorene Zeit?“ antwortet er: „Nein, überhaupt nicht, auf gar keinen Fall. Ich möchte nichts davon missen, auch wenn das manche Leute nicht nachvollziehen können [...]. Ohne die Gruppe hätte ich so vieles auf dieser Welt nie gesehen und nie kennengelernt und auch Erfahrungen mit mir selber nie gemacht, die existentiell waren, in jeder Hinsicht. Da möchte ich keine Abstriche machen. Es war viel Mieses dabei, viel Kaputtes, vieles habe ich auch selber zerschlagen, aber es war notwendig, und es war mein Prozeß, es ist meine Geschichte, und das ist in Ordnung so.“ Der Trotz ist unüberhörbar. Boock weiß, daß nichts notwendig ist und daß diese seine Geschichte die überflüssigste war, aber sie hat ihn erzeugt, und ihre Leugnung wäre Selbstverleugnung, und die kann man, wenn man ein heiler Mensch bleiben will, nur freiwillig bringen, man darf nicht dazu gezwungen werden. Seit dreizehn Jahren wird Boock zur Selbstverleugnung gezwungen. Da muß er, mehr als die Leute draußen, an seiner Identität festhalten. Ohne diesen Trotz wäre er verloren. Man darf über den letzten Sätzen die ersten nicht vergessen. Sie erinnern an die anderer Kriegsheimkehrer: „Ohne die Gruppe hätte ich so vieles auf dieser Welt nie gesehen und nie kennengelernt...“ Er meint das sehr konkret. Er denkt an die Länder, in denen er war, und an die Hotels, die er sich als RAF-Terrorist bei einem Spitzeneinkommen von 70.000 Mark pro Monat leisten konnte.
Wichtiger aber noch als die Erinnerung an die großen Zeiten der RAF sind die Hinweise auf die Schrecklichkeiten der Gegenwart. Boock erzählt vom Alltag in den Gefängnissen. Er erinnert daran, daß ein Häftling an 21 Tagen im Monat für täglich acht Stunden Arbeit 120 DM bekommt. „Der reale Verdienst der Gefangenen ist in den letzten zehn Jahren um rund 20 Prozent gesunken.“ Wer weiß das? Wer glaubt allen Ernstes, daß man mit solch schreienden Ungerechtigkeiten Gerechtigkeit schafft? Wem? Wer tut etwas dagegen?
Peter-Jürgen Boock: „Mit dem Rücken zur Wand...“ Ein Gespräch über die RAF, den Knast und die Gesellschaft, geführt von Eva Schlittenbauer und Uwe Britten. Palette Verlag, 121 Seiten, 20DM.
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