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Fürsorgliche Belagerung

■ Feuilletonisten-Streit oder Zensur? Dem schwedischen PEN-Vorsitzenden Gabi Gleichmann wird vorgeworfen, Taslima Nasrin in ihrem Exil isoliert zu haben

Stockholm (taz) – Am Donnerstag tauchte sie überraschend als Ehrengast bei der Eröffnung der Buchmesse in Göteborg auf. Taslima Nasrin sprach über ihr Land, die Meinungsfreiheit und den Fundamentalismus. Sie sprach nicht über einen Streit, der sich seit Tagen auf den Kulturseiten einiger schwedischer Tageszeitungen abspielt. Der Vorwurf: Der schwedische PEN, der sie ins Land eingeladen hatte und damit ihre „Flucht“ aus Bangladesch erst ermöglichte, halte sie isoliert von Medien und der Öffentlichkeit, wähle parteiisch Medien für Kontakte zu ihr aus, mit denen seinen Vorsitzenden Gabi Gleichmann persönliche und wirtschaftliche Kontakte verbinden. Taslima Nasrin habe auch durch Gleichmanns Verschulden nicht von der Einladung zur Frankfurter Buchmesse erfahren.

Der Bonnier-Konzern, von großem Einfluß im schwedischen Presse- und Verlagswesen, fühlte sich getroffen und schlug in seinen beiden großen Tageszeitungen Expressen und Dagens Nyheter gegen die angeblichen Neider zurück: Hier würden offenbar alte Geschichten und Verletzungen ausgetragen, letztendlich auf dem Rücken Taslima Nasrins. Hätten der PEN und Gleichmann eine „Auswahl“ unter den Kontakten zwischen Nasrin und der Außenwelt getroffen, dann allein in deren eigenem Interesse und selbstverständlich weit von jeder parteilichen Zensur entfernt.

Daran wird allerdings in Schweden gezweifelt. Die Tatsache, daß Taslima Nasrin seit der Ankunft in ihrem schwedischen Exil am 10. August für die schwedische Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar war, hat die jetzigen Vorwürfe gegen den PEN-Vorsitzenden Gleichmann genährt. Tatsächlich war Nasrin bis zum Beginn der jetzigen Auseinandersetzungen so gut wie vollständig „unter Verschluß“ gehalten worden. Am Mittwoch dieser Woche trat sie nach langer Zeit erstmals wieder öffentlich in Schweden auf, bei einer Diskussionsveranstaltung im „Volkshaus“ von Stockholm. In Skandinavien war sie vorher nur bei einer Konferenz im norwegischen Stavanger aufgetreten. Die Abstinenz von der Öffentlichkeit, vermutet man jetzt, sei weniger dem Bedürfnis der Sicherheitsbehörden als dem des schwedischen PEN zu verdanken.

Peter Luthersson, Kulturredakteur im Stockholmer Svenska Dagbladet vom gestrigen Freitag: „Wenn der Vorsitzende des schwedischen PEN-Clubs auf eine Weise gehandelt hat, die es Taslima Nasrin erschwert hat, von ihrem Exil in Schweden aus als Sprachrohr für Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Demokratie in Bangladesch aufzutreten, so ist das kein Privatstreit unter Feuilletonisten. Das gleiche gilt, wenn der schwedische PEN-Vorsitzende sich so verhalten hat, daß es den Medien und der Öffentlichkeit erschwert wurde, zu Taslima Nasrins Rolle als Streiterin für Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Demokratie in Bangladesch sich eine eigene Meinung bilden zu können.“

Der Kommentar in Svenska Dagbladet schließt: „Wenn der schwedische PEN-Vorsitzende in einem Versuch, seine Handlungsweise zu verteidigen und die Öffentlichkeit abzulenken, sich dazu versteht, grobe Lügen über andere Personen in die Welt zu setzen, ist das schon gar keine Privatsache mehr und der Streit hierüber auch kein Personenstreit.“ Daß wegen der Behandlung Taslima Nasrins ein Personenwechsel im PEN-Vorsitz ansteht, schien am Freitag in Schweden kein grundloses Gerücht zu sein.

Gegenüber der taz bestritt Gabi Gleichmann den Vorwurf, Taslima Nasrin isoliert zu haben: „Sollte ich Taslima Nasrin aus Bangladesch herausholen, um sie in Schweden einzusperren?“ Sie habe während ihres Aufenthalts in Schweden mit zahlreichen Journalisten europäischer Zeitungen sprechen können. Svenska Dagbladet, deren Redaktion ihm nun vorwerfe, die Redefreiheit von Taslima Nasrin eingeschränkt zu haben, habe sich während der vergangenen zwei Monate zwar schriftlich um ein Interview bemüht, Frau Nasrin sei aber mehr daran interessiert gewesen, den zahlreichen Angeboten aus anderen europäischen Ländern zu entsprechen. Gabi Gleichmann wies auch die von Svenska Dagbladet veröffentlichte Anschuldigung von seiten Taslima Nasrins zurück, sie nicht über die vom Kore-Verlag, von der taz, von Reporters sans Frontières, dem deutschen PEN und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels ausgesprochene Einladung zur Frankfurter Buchmesse informiert zu haben. Vier Wochen vor Beginn, so Gleichmann, sei er von Frau Nasrin beauftragt worden, den Veranstaltern eine Absage zu erteilen, weil ihr Roman „Lajja“ noch nicht in deutscher Sprache vorliege und weil sie für die gleiche Zeit eine Reise nach Paris geplant hatte.

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels und der deutsche PEN haben nach Recherchen der taz keine Antwort von Taslima Nasrin auf schriftliche Einladungen zur Frankfurter Buchmesse erhalten. Den von Taslima Nasrin und dem Freiburger Kore-Verlag geäußerten Verdacht, er habe die Briefe nicht weitergeleitet, wies Gleichmann gegenüber der taz schroff als „Lüge“ zurück. Taslima Nasrin habe zahlreiche Anfragen erhalten und viele davon unbeantwortet gelassen. Sie müsse selbst die Verantwortung dafür übernehmen. Der schwedische PEN sei ihr Gastgeber, nicht „ihre Public-Relation-Abteilung“. Reinhard Wolff/jl

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