Letzte Ausfahrt Frankfurt/Oder

■ Der Balkankrieg jetzt als Geschlechterkrieg auf der Bühne

Das verspricht ein merkwürdiger Theaterabend zu werden, Avantgarde in Frankfurt/Oder: Mamets „Sexual perversity in Chicago“ wird mit einem Stück gekreuzt, dessen Titel bedrohlich nach politischer Korrektheit im Endstadium klingt: „Krieg, böse III (Sarajevo)“, von einem gewissen Fritz Kater. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Regisseur als Stückeschreiber, offenbar ein Crumb-Fan. Der Regisseur heißt Armin Petras und nach seinem vor kurzem allseits gefeierten Boxer- Musical mit Rio-Reiser-Songs in Chemnitz hat endlich auch die Edelkritik wahrgenommen, daß der junge Mann derzeit einer der interessantesten deutschen Theaterregisseure ist. Die kleine Studiobühne in Frankfurt/Oder läßt klaustrophobisch veranlagten Zuschauern keine Chance: Das Publikum sitzt in der Mitte des Raumes, von allen Seiten von Laufstegen und Podesten eingekesselt, auf denen an drei Seiten eine Front weißer Türen steht: Philipp Stölzl hat einen aseptisch-kalten Raum gebaut, steril, ausweglos und von der dezenten Kaputtheit eines Angestelltenbiotops.

Der erste Schlag, Mamets Sexualkriegsstück, beginnt heiter-grotesk: Zwei Herren, zwei Damen steigen zu den Klängen von Blumfelds „Laß uns nicht von Sex reden“ in den Ring, leider halten sie sich nicht an die Bitte der Hamburger Kopfpopband. Mamet demonstriert die seelischen Verstörungen durch eine zerstörte, mehr oder weniger auf Fäkalvokabular reduzierte Sprache, eher ein Stottern und verbales Messerstechen als ein dialogisches Sprechen. Die sozialkritische Glätte dieser Dramaturgie hat bei Petras keine Chance: Die didaktische Aufklärungsnummer hat sich für ihn erledigt. Er macht seine Figuren zu grellen Karikaturen in Hawaii-Hemd und Unterhose oder futuristischem Nuttenlook. Sie agieren und sprechen wie debil-überdrehte Soap- opera-Püppchen: Lächeln eingefroren oder aufgedreht, kieksen „Aaahh“ und „Oohh“ und „Wooow“, stöhnen und bellen „Fuck-it-Bullshit-Flachlegen-die- Alte-Shit-Man“, direkt aus dem Zombie-Zoo des Unterhaltungsprogramms importiert, mit kalifornischer Dauerfröhlichkeit und New Yorker (oder Chicagoer) Routinebrutalität gegen den emotionalen Ernstfall zuverlässig imprägniert. Das wäre bloß oberflächlich lustig und würde die Figuren zynisch vorführen, wenn Petras diese Zombie-Ebene nicht immer wieder durch ein fast privat-ungeschützt wirkendes Spiel aufbrechen würde: Die Püppchen fallen aus der Rolle und sind plötzlich normale ostdeutsche Kleinbürger, die sich im Leben nicht mehr zurechtfinden. Plötzlich ist das Elend nicht mehr lustig, sondern ernst, traurig und verletzend.

Nach der Pause geht der Krieg weiter: Vom Schlafzimmer auf den Balkan (oder irgendeinen anderen Kriegsschauplatz, es ist austauschbar), von der Fäkalsprache zu Protokollen von Massakerüberlebenden, vom Beziehungsterror zur Vergewaltigung im Lager. Die sterile Bürokaputtheit des Raumes verwandelt sich in ein runtergekommenes Krankenhaus. Auch hier gelingt Petras eine raffiniert hergestellte Balance zwischen beiläufiger Leichtigkeit und trockenen, traurig-beklemmenden Skizzen des Grauens. Eine übersichtliche Handlung ist ebensowenig wie im ersten Teil auszumachen, nur kleine Geschichten, kurze Begegnungen, die zuerst eine Atmosphäre herstellen und erst gegen Ende zu einer fatalen Liebesgeschichte nach dem Muster von Kleists „Marquise von O.“ zusammenlaufen. Die Dramaturgie ist dem Stoff angemessen: Für die Beteiligten des Krieges ist er unübersichtlich. Durch eine gespenstische Künstlichkeit unterläuft Petras gezielt den Kitsch, das falsche Pathos von Kriegsberichten (zumal wenn sie in einem deutschen Stadttheater serviert werden). Statt routinierte, letztlich zynische moralische „Anklagen“ zu liefern, stellt er den Kunstvorgang aus. Kleine Eingriffe stellen beklemmend- kühle Bilder her: Ein stummer, maskierter Chirurg im grünen OP- Kittel überwacht wie ein Gespenst das Spiel. Eine erstarrte Krankenschwester hält einen weißen Kalkbrocken zärtlich wie ein Kind an die Brust. Eine Mutter will ihre vergewaltigte Tochter mit einem lächerlichen Spielzeuggewehr rächen. Indem zwischen die Kriegsprotokolle ein banaler, blutiger Autounfall nervöser Geschäftsreisender montiert wird, entpathetisiert Petras das Grauen: Eine raffinierte Demontage der üblichen Manöver, die Schreckensbilder zur Sinnstiftung umzubiegen und zu verkitschen. Keine Botschaft, nur blinder Schrecken. Peter Laudenbach

David Mamet: „Sexual perversity in Chicago“; Fritz Kater: „Krieg böse III (Sarajevo)“. Regie: Armin Petras, Bühne: Philipp Stölzl. Mit: Gunnar Teuber, Andrej Kaminski, Christin König, Ila Schöppe u.a. Kleist-Theater Frankfurt/Oder. Nächste Vorstellungen: 7. und 28.11., 19.00 Uhr