: Mord beim Jägerball
■ Die ARD bejubelte in Köln ihren 300. "Tatort", und (fast) alle ließen sich sehen
Sicher, Klaus Doldinger hatten wir erwartet. Schließlich stammt aus seiner Feder jene Titelmusik, zu der ein gewisser Klaus Lettenmayer regelmäßig so blauäugig aus dem Fadenkreuz linst. Doch mit Udo Lindenberg war nicht unbedingt zu rechnen gewesen. Aber der schwarze Mann von der Waterkant hatte es sich nicht nehmen lassen und war am Freitag auch nach Kölle angereist. Da klopfte er nun schwerst sonnenbebrillt die Felle. Ganz wie einst im Mai, als er sich noch als Schlagzeuger bei Doldinger seine Brötchen verdiente.
Aber schließlich war der Anlaß für diese Altherren-Reunion auch der gewichtigeren einer. Am 11.12. flimmert in der ARD die 300. „Tatort“-Folge über den Schirm. In der ersten hatte Walter Richter als Trimmel im Dezember 1970 gleich grenzüberschreitenden Fahnderdrang bewiesen und war von Hamburg mit einem „Taxi nach Leipzig“ gerauscht. Damals hatten ARD und Polizei noch Geld für Spesen.
Heute haben sie mit Ehrlicher (Peter Sodann) bekanntlich ihren eigenen Mann vor Ort.
Über dieses Jubiläum der erfolgreichsten Ganovenjäger-Reihe der ARD sollte nun am vergangenen Freitag schon mal vorab recht ordentlich jubiliert werden.
Bis auf den radelnden Toscana- Gourmet Max Palu alias Jochen Senf hatten sich – freiwillig, zwangsverpflichtet oder polizeilich vorgeführt – denn auch sämtliche amtierenden „Tatort“-Kommissare zu diesem Sondereinsatz eingefunden. Selbst das befreundete Ausland hatte mit Inspektor Fichtl (Michael Janisch, ORF) und Kommissar Philipp von Burg (Laszlo I. Kish, SRG) seine verbeamteten Mörderfänger entsandt. Eine -in war immerhin auch da: Ulrike Folkerts, die in Gestalt von Lena Odental als einzige Frau in der amtierenden Fahnderriege dafür sorgt, daß Baden-Baden sauber bleibt.
Ansonsten gab's das, was es zu derartigen Anlässen so gibt: ARD- Prominenz aus den Bürostuben, Autoren, Bürgermeister, Regisseure, einen echten Kölner Polizeipräsidenten, Schauspieler, Reden, die keiner hören wollte, Behältnisse mit Trink- und Eßbarem, die alle haben wollten.
Was fehlte, waren der Bischof und jene legendären Figuren unter den rund 50 „Tatort“-Kommissaren, die der Reihe mit ihren Macken und Charakterköpfen im Laufe der Jahre zu Kultstatus verholfen haben. Einige, wie Walter Richter (Trimmel), Klaus Schwarzkopf (Finke), Gustl Bayrhammer (Veigl) und Eberhard Feick (Thanner) weilen nicht mehr unter den Lebenden, andere hatten scheint's besseres vor.
„Schimi“ Götz George war das Klassentreffen offenbar suspekt, wie dem aufrechten Sozialdemokraten Haferkamp alias Hansjörg Felmy. Auch Sieghardt Rupp, der als einst notorischer Charmebolzen Kressin mehr Frauen als Verbrecher umlegte, stand der Sinn wahrscheinlich nicht nach nostalgischem Geplänkel. Wer Kressin noch mal in Aktion sehen wollte, brauchte allerdings nur ein paar Meter zur Cinemathek zu laufen. Neben anderen „Tatort“-Highlights gab es „Tote Taube in der Beethovenstraße“ zu sehen, 1973 von Hollywood-Legende Fuller inszeniert und eine der abgedrehtesten Folgen überhaupt.
Dann wurde einem an diesem Abend plötzlich wieder schlagartig bewußt gemacht, daß man auf einer öffentlich-rechtlichen Veranstaltung weilte. Nicht umsonst heißt es doch bei jedem ordentlichen Preisausschreiben, daß Mitarbeiter der Firma und deren Angehörige nicht mitmachen dürfen. Schließlich wissen die Werktätigen doch, ob ihr eigener Quark fruchtig oder cremig schmeckt und haben es auch ihren Lieben daheim längst gesteckt. Und die sollten dann mit ihrem Wissensvorsprung all die wertvollen Sachpreise abräumen dürfen? In der privaten Wirtschaft unmöglich! Aber bei der ARD.
Der Tathergang: Beim Jägerball fiel unvermittelt eine Leiche an. Rein sketchmäßig, versteht sich. Die Anwesenden im Saal sollten darob schleunigst ermitteln, wer denn wohl der Mörder gewesen sein könnte. Moderator Jürgen Roland warf ein paar dürftige Indizien unters Volk. Nichts tat sich. Allgemeines Grübeln. Aber plötzlich hatte da einer des Rätsels Lösung parat: „Der Gärtner war's!“ Welch Witz, welch kühner Gedanke. Doch siehe da, prompt trat nicht Reinhard Mey, sondern Gärtners Claus Theo („Ein Fall für zwei“) aus den Kulissen und bekannte sich schuldig. Soweit, so unbändig komisch.
Doch wer war der kundige Rufer in der Wüste? ARD-Programmdirektor Dr. Günter Struve. Und der nahm auch gleich frohlockend den schönen Sachpreis („Tatort“-Classics auf Video) in Empfang. Doch dann muß ihm irgendeine innere Stimme so was wie „Obacht, Skandal!“ geflüstert haben. Denn prompt reichte Struve den Gewinn an eine Bedürftigere weiter: Mutter Beimer alias Marie- Luise Marjan. Doch, die hat früher auch mal im „Tatort“ mitgespielt. Kommt sie ja heute kaum noch zu. Schon allein wegen Klausi, Onkel Franz, und überhaupt ... Michel die Gräte
(alias Reinhard Lüke)
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