: „Die Allianz gegen Irak ist beendet“
Für Bagdad endete die jüngste Eskalation am Golf mit einem Sieg, der mit Hilfe Rußlands und Frankreichs erzielt wurde / Im Nahost-Friedensprozeß will Irak nicht abseits stehen ■ Aus Bagdad Henri Heron
„Mit der Klugheit und Weisheit unseres Führers Saddam Hussein – Gott schütze und behüte ihn – konnten wir die imperialistische Verschwörung besiegen“, heißt es derzeit immer wieder in den offiziellen irakischen Zeitungen, den einzigen, die es im Lande gibt. Gemeint sind die Entscheidungen des „außerordentlichen“ Führers, zuerst seine Truppen in Richtung Kuwait in Marsch zu setzen und sie dann, nach Drohungen der USA und der UNO, wieder zurückzuziehen.
Die Mehrheit der Bevölkerung beobachtete diese Ereignisse mit einer Mischung aus Angst – vor einer weiteren Steigerung der Lebensmittelpreise – und Gleichgültigkeit. Die Iraker durchschauten die Manöver ihrer Führung und rechneten daher von vorneherein mit einem Rückzieher Saddam Husseins. Der Konflikt, der in der ersten Oktoberhälfte international für Schlagzeilen sorgte, wurde von der Bevölkerung nicht besonders ernstgenommen.
Diese Haltung steht in einem deutlichen Kontrast zur Stimmung in den Kreisen der regierenden Baath-Partei. Sie ist von dem festen Glauben geprägt, daß die schlimmsten Zeiten nun dem Ende entgegengehen. „Die Weltgemeinschaft und vor allem die USA glauben, daß der Irak schwach, isoliert und unterwürfig ist“, sagt ein hoher Funktionär der Baath-Partei, der namentlich nicht genannt werden will. „Wir haben allen gezeigt, daß wir noch stark sind. Unsere Botschaft war klar: Wir können politische Unruhe in der Region verursachen, solange man unsere Interessen ignoriert.“ Ziel sei die Aufhebung des vierjährigen UNO-Embargos gegen den Irak gewesen. „Wir werden es unter keinen Umständen akzeptieren, daß das Embargo fortgesetzt wird. Es geht uns ans Leben.“
Zwei UNO-Resolutionen, die vorsehen, daß der Irak Erdöl für 1,6 Milliarden Dollar exportieren und unter UNO-Kontrolle Medikamente und Lebensmittel einführen kann, lehnte Bagdad ab. Dies sei eine Verletzung der Souveränität des Irak, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Tarik Aziz am 7. Oktober vor der UNO- Generalversammlung in New York. „Wir wollten Clinton sagen, daß wir nicht Haiti sind“, erläutert auch der Gesprächspartner in Bagdad. „Unsere Strategie war es, die Lage an den Rand des Abgrunds zu bringen, und dann unseren Freunden genügend Zeit zu geben, einen politischen Ausweg aus der Krise zu finden. Bis jetzt haben wir einen vollen Erfolg errungen.“
Zu den „Freunden“ gehören neuerdings aus Bagdader Sicht wieder Rußland und Frankreich. Beide Staaten hatten die Ankündigung des Irak begrüßt, im Falle einer Aufhebung der Sanktionen Kuwait als souveränen Staat anzuerkennen. Und auf russischen Druck hin wurde in der UNO-Resolution vom 15. Oktober ein Passus aufgenommen, der diesen Schritt ausdrücklich würdigt.
Ökonomische Interessen
Gestrichen wurde ein von den USA gewünschter Absatz, in dem Bagdad zu einer vorherigen Anmeldung jeglicher Truppenbewegung gezwungen worden wäre. „Die internationale Allianz gegen den Irak ist zu Ende“, kommentierte der irakische Gesprächspartner, als er vor dem Fernseher die Berichterstattung des Nachrichtensenders CNN über die Sitzung des Weltsicherheitsrates verfolgte.
Hinzu kommt, daß sich auch die Außenminister aus sechs arabischen Golfstaaten sowie Syriens und Ägyptens kürzlich bei einer Sitzung in Kairo nicht auf eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Irak einigen konnten. Ägypten, das während des Golfkrieges in der Allianz gegen den Irak eine wichtige Rolle spielte, kritisierte diesmal Kuwait, weil das Scheichtum seinen Schutz bei „ausländischen Truppen“ und nicht bei den „arabischen Brüdern“ gesucht habe. Und die Türkei, ebenfalls Mitglied in der Allianz gegen den Irak, stellte klar, daß ihr Territorium nicht wieder als Ausgangspunkt für Angriffe auf das Nachbarland genutzt werden darf.
Die politische Karte, die der Irak nach Absprache mit seinen „Freunden“ ausspielte, so der Gesprächspartner in Bagdad, sei eben gewesen, die Anerkennung der Souveränität Kuwaits in Aussicht zu stellen. Daraufhin habe der russische Außenminister Andrei Kosyrew zugesichert, sich dafür einzusetzen, daß das Embargo in sechs Monaten aufgehoben wird. Damit soll eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen vor allem zu Rußland und Frankreich einhergehen. Aber auch Firmen aus anderen Staaten, unter anderem Deutschland, hätten bereits Angebote unterbreitet. Dabei gehe es vor allem um die Ausbeutung neuer Ölfelder. „Ich glaube, daß die US-Gesellschaften früher oder später Druck auf das Weiße Haus ausüben werden, um diese Chance nicht zu verpassen.“ Nach vier Jahren Embargo ist der Irak ein lukrativer Markt, wo fast alles gebraucht wird.
Doch nach Auffassung des irakischen Funktionärs geht es nicht nur um Busineß, sondern auch um politische Veränderungen. „Die ganze Welt spricht jetzt von einer neuen Etappe in der Region, in der Frieden, Stabilität und wirtschaftlicher Wohlstand herrschen. Der Irak könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Er könnte Öl, Wasser und Strom exportieren. Aber man muß auch die Bedeutung des Irak anerkennen und seine Interessen respektieren.“
Auf die Frage, ob die Führung in Bagdad bereit sei, die Existenz des jüdischen Staates anzuerkennen, antwortete der Funktionär der Baath-Partei: „Unsere Priorität ist es, den Irak wieder aufzubauen und das Land zu entwickeln. Endlich führen die Palästinenser selbst und die arabischen Staaten Verhandlungen mit Israel. Deshalb wäre es nicht klug, sondern Dummheit, wenn der Irak allein gegen den Strom schwimmen würde.“
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