: Die Eisensäge im Regalbrett
■ Geiseldrama: Druck auf Hamburger Strafvollzug wächst
In der Strafvollzugsanstalt „Santa Fu“ ist Gerhard Polak – einer der beiden Geiselnehmer – als begabter Mechaniker bekannt. Der wegen räuberischer Erpressung verurteilte Schweizer montierte in der Gefängniswerkstatt Ölbrenner, aber nicht nur das: Heimlich schweißte der 35jährige mit Anstaltswerkzeug aus Metallsprossen und einem Stuhl eine Leiter zusammen. Zusammen mit dem verurteilten Mörder Raymond Albert überwand Pollak vor drei Wochen mit dieser Leiter bei dichtem Nebel die Anstaltsmauer.
Die Pannenliste, die zum Ausbruch der beiden Gewaltverbrecher geführt hat, ist lang. Hinweise in den Personalakten, daß Polak sein handwerkliches Geschick 1988 schon einmal zum Ausbruch aus „Santa Fu“ benutzt hatte, blieben offensichtlich unbeachtet. Die beiden Ausbrecher hatten wohl auch keine Probleme, eine Säge, ein 28 Meter langes Elektrokabel und die montierte Leiter aus der Werkstatt in die Zelle zu schmuggeln und dort wochenlang zu deponieren. In einem ausgehöhlten Regalbrett hatte Polak die Säge versteckt, mit der er dann die Zellengitter zertrennte.
„Die Kontrollen in den Betrieben und den Zellen waren offenbar nicht gründlich genug“, räumt Justizsenator Hardraht ein, der heute morgen auf einer Pressekonferenz dazu Stellung nehmen will. Bislang betrifft die Suche nach den Schuldigen nur die unteren Ebenen. Gegen zwei Bedienstete der Justizvollzugsanstalt wurden nach der Disziplinarordnung Verfahren eingeleitet, die nun „unmittelbar vor dem Abschluß“ stehen. Persönliche Konsequenzen lehnt der parteilose Justizsenator, der vor zehn Monaten durch die Statt Partei in den Senat der Hansestadt geholt wurde, ab. Eine „ungewöhnlich hohe Zahl von Maßnahmen“ zur Erhöhung der Sicherheit des Strafvollzugs sei unter seiner Amtsführung bereits umgesetzt worden.
Kritiker meinen jedoch, daß die über hundert Jahre alte Anstalt in der Nähe des Hamburger Flughafens selbst durch Millionen-Investitionen nicht wirklich sicher gemacht werden kann. In dem riesigen alten Backsteingemäuer sei einfach kein moderner und sicherer Strafvollzug möglich. Von den Ideen seiner Vorgängerin, der heutigen Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD), „Santa Fu“ durch mehrere kleiner Anstalten am Standrand zu ersetzen, hält Nachfolger Hardraht nichts: „Die Einrichtung eines Haftplatzes im geschlossenen Vollzugdurch einen Neubau kostet rund 500 000 Mark. Wir brauchen als Ersatz für die drei Fuhlsbütteler Anstsalten rund 1 000 geschlossene Haftplätze. Das kann sich Hamburg nicht leisten.“
Christoph Dernbach
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