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Einer gegen 250.000

■ Bremens letzter Rattenfänger steht kurz vor der Pensionierung / Nachfolge gesperrt

Egon Hawich dippt den Finger in die Tüte mit Rattengift und leckt ihn ab: „Schmeckt süß“, stellt er nüchtern fest. Er ist Bremens aller-allerletzter Rattenfänger. Seine Kollegen Harbert Bross und Hermann Steinfort gehen im Alter von 58 Jahren noch vor Ende des Jahres in den Vorruhestand. Laut Senatsbeschluß dürfen die beiden Planstellen die nächsten zwei Jahre, aus Gründen der Einsparung, nicht besetzt werden. „Und alleine schaffe ich das nicht“, sagt Hawich. Schließlich komme auf jeden zweiten Bürger eine Ratte. Wenn nicht doch noch eine der Planstellen neu besetzt wird, gibt es in Bremen ab 1995 keine staatlichen Rattenfänger mehr.

Egon Hawich würde sich dann, anstatt der aktiven Rattenbekämpfung nachzugehen, ans Telefon setzen und die AnruferInnen beraten. Diese müßten ihr Problem danach selbst in die Hand nehmen und Gift auslegen oder sich an private Schädlingsbekämpfungsunternehmen wenden.

Eine Rattenköderstation vom Privatunternehmer kostet allerdings um die 60 Mark, und nach einmaligem Ködern sind meist nicht alle Ratten tot. Rund dreimal wird eine Köderstation aufgestellt, und der Schlußservice kostet nochmal extra.

Vor diesen Preisen schrecken vermutlich vor allem die Mieter zurück, die bisher am häufigsten bei den Kammerjägern im Hauptgesundheitsamt angerufen haben. Über 2.000 Meldungen gehen pro Jahr in der Behörde ein. Mit so vielen Aufträgen könnte eine private Firma sich glücklich schätzen.

Die Schädlingsbekämpfungsfirma Nordmann in Niedersachsen hatte eine Anfrage aus Osnabrück bekommen. „Die Stadt wollte 60.000 Mark für das allernötigste zahlen, aber wir haben 250.000 Mark kalkuliert“, sagt Bernhard Nordmann, Geschäftsführer und Besitzer in einer Person. Die Stadt wurde den Auftrag trotzdem los, aber Nordmann munkelt, daß die günstigsten Anbieter meist die schlechtsten seien.

Die Qualität der privaten Schädlingsbekämpfer stellte auch Bremens Hafenarzt Alfons Nettelheim öffentlich in Frage. Bereits in den 70er Jahren hatte Bremen schlechte Erfahrung mit privaten Schädlingsbekämpfern gemacht. Nach zehn Jahren kündigte man die Zusammenarbeit: „Uns war diese Ausführung nicht gut genug“, sagt Fred Höltig, Abschnittsleiter der staatlichen Schädlingsbekämpfung.

Mehr als 60.000 Mark dürfte auch Bremen nicht an Private zahlen, sonst würde aus der Stellenstreichung keine Einsparung erfolgen. Denn diese Summe kostet ein Schädlingsbekämpfer im Öffentlichen Dienst pro Jahr. Eine Planstelle hat Höltig im Rahmen der Personaleinsparungspläne bereits vor eineinhalb Jahren zum Streichen frei gegeben. Ob bei der anderen nun eine Ausnahme gemacht wird, hängt davon ab, welche Angebote die Bremer Schädlingsbekämpfungsfirmen machen.

Am Freitag läuft die Bewerbungsfrist für die Angebote aus, dann werden sie geprüft. Die Behörenregelung gelte „für Aufgaben, die nicht unbedingt gebraucht werden“, sagt Behördensprecher Wolfgang Beyer, und ergänzt: „Diese Aufgabe ist nicht unbedingt nötig.“

Doch gerade bei der Ursachenermittlung greifen die staatlichen Rattenfänger der Verwaltung unter die Arme. Durch Spiegelungen im Kanal entdeckten sie manches Loch, durch das Kanalwasser ins Grundwasser sickern und die eine oder andere Ratte herausschlüpfen konnte. Die undichten Stellen konnten dann die Kanalarbeiter flicken.

Meist kommen die Ratten durch ein Loch in der Kanalzuführung ins Haus, die auf das Grundstück führt. „Die Ratten beißen das nicht durch, das bricht ab, bedingt durch einen Erdrutsch oder Baumwurzeln, die sich ausgedehnt haben“, weiß Egon Harwich aus seiner 15jährigen Erfahrung als staatlicher Rattenfänger. Um festzustellen, wo das Loch ist, steckt er eine Rauchpatrone ins Rohr. Für diese Arbeit müsse man eigentlich zu zweit sein, da die Rohre oft verwinkelt und lang sind, sagt er. Mit 60 Jahren will auch er in den Vorruhestand gehen, das ist in zwei Jahren.

Vivianne Schnurbusch

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