: Böse Überraschung
Die Kanaltunnel-Gesellschaft hat im Finanzplan die Gemeindesteuern von Folkestone vergessen ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – Steuerrechnungen enthalten manchmal unliebsame Überraschungen. Wenn es ein Unternehmen wie Eurotunnel trifft, stellt sich gleich die Frage nach den Überlebenschancen. Am Wochenende fand die Betreiberfirma des Kanaltunnels zwischen England und Frankreich heraus, daß sie mit Gemeindesteuern in Höhe von 42 Millionen Pfund rechnen müsse. Dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Alistair Morton sei der Kiefer heruntergeklappt, berichteten Eingeweihte. Offiziell bewahrte man allerdings Haltung: Eurotunnel habe für die Gemeindesteuer „vorgesorgt“, hieß es. Zahlen wurden jedoch nicht genannt.
Die Investoren fielen jedenfalls aus allen Wolken. Die Gemeindesteuer für Unternehmen ist das Äquivalent zur Kopfsteuer für Haushalte – aus beiden finanzieren sich die Bezirksverwaltungen. Der Gemeinderat von Folkestone, wo der Eurotunnel-Bahnhof steht, hat den Wert der gesamten Anlage auf hundert Millionen Pfund geschätzt. Da die Gemeindesteuer 42 Prozent beträgt, ist die Rechnung einfach – nicht jedoch für Morton. Er hat umgehend bei Innenminister Michael Howard – der zufällig auch Abgeordneter für Folkestone ist – vorgesprochen, um einen Nachlaß zu erreichen.
Aber noch nicht einmal darüber herrscht Einigkeit, ab wann die Firma steuerpflichtig ist. Die Bezirksverwaltung meint, Eurotunnel müsse seit der offiziellen Eröffnung durch die Queen im vergangenen Mai zahlen. Morton argumentiert, daß lediglich Königin und Frachtverkehr, aber noch keine zahlenden Passagiere durch den Tunnel gefahren seien. Er bestreitet außerdem, daß man den Meeresboden besteuern könne. Schließlich zahlten ja die Reedereien auch keine Steuern für das Wasser, auf dem ihre Fähren schwimmen.
Eurotunnel steht das Wasser bis zum Hals. Mit Gewinnen ist nicht vor 2003 zu rechnen. Die 850 Millionen Pfund, die man vor kurzem durch die Neuausgabe von Aktienrechten aufgetrieben hatte, werden im Frühjahr aufgebraucht sein. Dann muß sich Eurotunnel wieder 700 Millionen Pfund von den Banken leihen. Die sind genervt, vor allem jenseits des Kanals. Die französische Börsenaufsicht fragt sich, ob Eurotunnel stets die Wahrheit über die zu erwartenden Profite gesagt hat. In den letzten Bilanzen war ja von Gemeindesteuern keine Rede ... Bei elf Milliarden Pfund, die das Projekt bisher aufgesogen hat, sind 40 Millionen freilich ein Pappenstiel.
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