Wer hat bloß den Fernsehturm gebaut?

■ Drei alte Architekten streiten sich darum, wer der wirkliche Baumeister des architektonischen Monstrums in Ostberlin ist

Um die Vaterschaft des Ostberliner Fernsehturms balgen sich weiter die alten Männer. Nach Fritz Dieter, der sich als Erbauer des „Protzstengels“ sieht, und Hermann Henselmann, der als „Agitator“ und Entwerfer des Turms auftritt, hat sich jetzt als dritter Architekt Gerhard Kosel in den Streit um die Autorenschaft eingemischt. Auf einem nicht öffentlichen Hearing der Berliner Architektenkammer zur „Klärung und Schlichtung“ der Fernsehturmfrage bezeichnete sich Kosel als „Urheber“ des Monstrums am Alexanderplatz, das von 1964 bis 1969 gebaut worden ist. Die Kammer hatte zu diesem „Ehrentribunal“ geladen, nachdem in der Vergangenheit die Architekten auf dem Rechtsweg versuchten, sich als Baumeister ausrufen zu lassen.

Kosel, ehemaliger Präsident der DDR-Bauakademie, sieht sich als „Gesamtleiter des Projekts“. Er habe als Berliner Chefarchitekt 1964 nicht nur den jetzigen Standort in der Stadtmitte bestimmt, sondern sei auch für die Bildung des „Technischen Rates“, die Finanzierung sowie das Nutzungskonzept des Fernsehturms verantwortlich gewesen. Für die Figur des Kugelkopfes, so Kosel auf dem Hearing, habe er auf „eigene Skizzen“ zurückgegriffen. Es sei „nicht richtig“, Hermann Henselmann als Urheber der verwirklichten Stadtkrone zu bezeichnen. Sein Fehlen in der bisherigen „Autorenliste“ erklärte Kosel damit, daß er 1965 von seinem Posten abgelöst worden und wegen angeblicher Kostenüberschreitungen in Ungnade gefallen sei. Tief fiel er allerdings nicht: Er wurde stellvertretender Bauminister der DDR.

Der plötzliche Egotrip Gerhard Kosels erscheint um so absurder, wenn man weiß, daß es in der DDR im Gewirr politischer Abhängigkeiten, unklarer Auftragsvergaben sowie großer Arbeitskollektive mit wechselnden Leitern keine juristische Präzisierung des Urheberbegriffs für Architekturen gab. Kosel gehe es außer um die „Ehre“ – ebenso wie seinen Kontrahenten – auch um die politische Interpretation des Turms, sagte ein Mitglied der Kammer zur taz. So versucht sich seit Jahrzehnten Hermann Henselmann als Architekt des Turms zu inszenieren, obwohl kaum mehr als eine städtebauliche Idee seines „Turms der Signale“ von 1959 – ein dynamisch aufsteigender Schaft mit einem Kugelkopf nahe dem Marx-Engels-Platz – in dem jetzigen Fernsehturm zu sehen ist. Einen ähnlichen Vorschlag des Franzosen Jean Fougeron von 1958 will Henselmann nicht gekannt haben.

Fritz Dieter, der damals das Fernsehturm-Baukollektiv VEB Industrieprojekt Berlin führte, meldet ebenso Autorenansprüche an. Auf seinem Reißbrett sei der „Ideenentwurf“ für den Kugelturm entstanden, so Dieter. Fakt ist, daß Dieter den erst für Friedrichshain vorgesehenen Stengel in Mitte „projektierte“. Gemeinsam mit Günter Franke, der für den Schaft bis in die Höhe von 185 Meter zuständig war, entwickelte er den Sendeturm als technisches Bauwerk. Einmalig und patentiert ist Dieters Kugelkonstruktion, die er als „kugelförmiges Hochhaus“ mit einer leichten Vorhangfassade entwarf. Als das berühmte Lichtkreuz am Fernsehturm erschien, erloschen dafür die Namen der Architekten Dieter und Franke aus allen offiziellen Mitteilungen und Fachzeitschriften.

Wer ist also der Architekt des Turms? Es sei ein Erfolg gewesen, die alten Männer gemeinsam an einen Tisch zu bekommen, sagte Nicolette Baumeister von der Architektenkammer. Die Urheberschaft habe sich aber nicht klären lassen, weil sie wohl nicht zu klären sei. Dennoch versuchte die Architektenkammer den Konflikt mit einem salomonischen Spruch zu entschärfen. Das Ergebnis sei, so Baumeister, daß jeder Architekt einen Anteil am Turmbau habe und mit Ideen, Gestaltungs- und Nutzungsvorschlägen sowie dem Bau zur Realisierung beitrug. Damit waren die alten Männer nicht zufrieden. Fortsetzung demnächst in diesem Theater. Rolf Lautenschläger