Europas falsche Geschenke

Die Europäische Kommission will ihre Handelspolitik mit der Dritten Welt auf die Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft umstellen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Es klingt nach Fortschritt. Die Europäische Kommission will, sagt sie, daß Länder in der Dritten Welt, die ihre Produkte sozial- und umweltgerecht herstellen, durch niedrigere Zölle belohnt werden. Damit sollen Anreize geschaffen werden, beispielsweise auf Kinderarbeit zu verzichten und die Umwelt zu schonen.

Aber die Sozial- und Umweltklauseln sind nur das Geschenkpapier, in das die neue Handelspolitik der Europäischen Union eingewickelt werden soll. Das sogenannte Allgemeine Präferenzsystem (APS), das rund 150 Entwicklungsländern erlaubt, zu besonders günstigen Bedingungen in die Europäische Union zu exportieren, wird zum 1. Januar 1995 vollkommen neu gestaltet.

Das 1971 einführte APS hätte schon 1991 überarbeitet werden sollen. In Singapur beispielsweise ist das Bruttosozialprodukt pro Kopf inzwischen doppelt so hoch wie in Portugal oder Griechenland, in den Vereinigten Arabischen Emiraten fast viermal so hoch. Trotzdem haben diese Länder dieselben Vergünstigunen wie Bangladesch oder Äthiopien.

Solche Ungleichheiten gelte es zu beseitigen, fand die Kommission. Statt zollfreier Einfuhrmengen wird es deshalb künftig gestaffelte Zölle geben. Schwächer entwickelte Länder sollen weniger zahlen als Staaten, deren Industrialisierung bereits Fortschritte gemacht hat. Gleichzeitig aber verlieren Branchen einen Teil der Vergünstigungen, sobald sie wettbewerbsfähig geworden sind.

Arme Länder dürfen nicht zuviel Erfolg haben

Laut Kommission geht es darum, die Handelserleichterungen stärker nach entwicklungspolitischen Gesichtspunkten einzusetzen. Der Grundgedanke sei, den Reicheren Entwicklungsländern etwas wegnehmen, um es den ganz Armen zu geben. Aber das Kleingedruckte läßt sich auch anders lesen.

Zu den Verlierern zählt beispielsweise die pakistanische Lederindustrie. Das nicht gerade reiche Land hat in den letzten Jahren in diesen Wirtschaftszweig investiert. Nach Ansicht der Kommission exportiert Pakistan heute zu viele Lederwaren, ist in diesem Bereich also wettbewerbsfähig und braucht deshalb keine Vorzugsbehandlung mehr. Dazu kommt, daß Schuhe, Lederjacken und Ledertaschen zu den sogenannten sensiblen Waren zählen, weil es dafür auch europäische Hersteller gibt, die geschützt werden müßten.

Die Aufzählung dieser unliebsamen Importgüter liest sich wie das nur leicht verschlüsselte Gesamtverzeichnis der in Brüssel ansässigen Industrielobby. Von „Ammoniak, wasserfrei oder in wäßriger Lösung“ über „Polymere des Vinylchlorids in Primärform“ ist auf vier Seiten alles aufgelistet, was die europäische Großchemie so erfolgreich gemacht hat und was sie jetzt ungern mit anderen teilen möchte.

Auch die Maschinenbau-, die Elektro- und die Instrumentenindustrie haben offenbar genaue Anweisung gegeben, wo sie Präferenzzölle für unangebracht halten. Unter KN-Code 9201 sind zum Beispiel „Klaviere mit aufrecht stehenden Rahmen“ aufgeführt. Entwicklungsländer sollen sich demnach auf Flügel der Steinway- Sorte spezialisieren. Die Liste kann im Laufe der Zeit noch länger werden. Der neue APS-Entwurf sieht vor, daß die Kommission auf Antrag weitere Waren aus dem Präferenzsystem ausschließen kann, wenn einem Hersteller in der EU durch die Konkurrenz Schaden droht. Welche Konkurrenz schadet, entscheidet die Europäische Kommission. Landwirtschaftlich Erzeugnisse, also alles, mit dem Entwicklungsländer eine echte Chance hätten, sind ohnehin von jeder Zollvergünstigung ausgeschlossen.

Die Bundesregierung hat signalisiert, daß sie das neue Präferenzsystem im wesentlichen in Ordnung findet. Lediglich das Geschenkpapier — die zusätzlichen Zollermäßigungen für Umwelt- und Sozialnormen — wird voraussichtlich noch vor dem 1. Januar 1995 weggeworfen.

Denn international anerkannte Umweltnormen gibt es bisher nur für die Holzverarbeitung. Wer sich nicht an die internationalen Normen zum Schutz des Regenwaldes hält, könnte also mit höheren Zöllen bestraft werden. Für alle anderen Waren müßten erst noch Kriterien ausgehandelt werden, ebenso für die Sozialstandards. Doch einige der zwölf EU-Regierungen, die dem Entwurf noch zustimmen müssen, haben bereits abgewunken. Die Bundesregierung etwa argumentiert, daß die Zollvorteile viel zu gering seien, als daß sie umweltpolitische Wirkung entfalten könnten. Bonn werde deshalb den gestaffelten Zöllen zustimmen, die Umwelt- und Sozialklausel aber ablehnen.