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„Wir werden die Peitsche nicht vergessen“

■ Richard Titchen, einer der sechs Direktoren von Greenpeace International, will in Zukunft die Industrie stärker angreifen – und manchmal gibt's ein Zuckerbrot

Richard Titchen ist verantwortlicher Direktor für Kommunikation, Mittelbeschaffung und Aktionen.

taz: Hat auf dem Greenpeace- Jahrestreffen in Tunesien tatsächlich ein Machtkampf stattgefunden?

Richard Titchen: Man kann es eigentlich nicht als Machtkampf bezeichnen, aber es hat einen Streit um die Führung der Organisation gegeben. Der konnte jedoch gelöst werden, indem drei neue Leute in den Verwaltungsrat gewählt wurden, die für die Arbeit im Norden und im Süden stehen.

Greenpeace muß über drei Millionen Dollar sparen. Sind die Befürchtungen berechtigt, daß die Länder des Südens die Leidtragenden sind, während die Budgets derGreenpeace-Sektionen im reichen Norden unangetastet bleiben?

Nein. Zusätzliche Gelder wurden sogar für die Arbeit in Lateinamerika und in den ehemaligen Ostblockländern bewilligt. Es wurde auf dem Treffen ganz klar festgelegt, daß die Prioritäten von Greenpeace auf der internationalen Ebene liegen.

Irgendwo muß das Geld doch aber nun gespart werden.

In erster Linie wirken sich die Einsparungen auf die Verwaltung aus. Wir können beträchtliche Summen sparen, indem wir effektiver arbeiten. Außerdem werden wir die Bürokratie, die sich über die Jahre entwickelt hat, abbauen. Die möglichen Einsparungen hierbei gehen weit über das hinaus, was wir durch die Entlassung von 90 Mitarbeitern sparen. Und zuletzt untersuchten wir den ganzen Kampagnenbereich, für den wir immerhin drei Viertel des Haushaltes aufwenden.

Und zu welchen Ergebnissen kamen Sie?

Wir haben ganz klare Prioritäten aufgestellt, woran wir in den nächsten Jahren arbeiten werden. Wir werden uns auf weniger Themen begrenzen als in der Vergangenheit, denn wir mußten feststellen, daß wir zuviel zu erreichen versuchten mit zu wenigen Mitteln. Wir können mehr verändern, wenn wir unsere ganzen Anstrengungen auf bestimmte Themen konzentrieren. Dazu mußten wir einen Konsens darüber herstellen, welches die größten Bedrohungen für die Umwelt sind. Und so kamen wir dazu, nur noch vier statt bisher neun Kampagnenbereiche zu verfolgen. Das hätten wir schon vor zwei Jahren machen sollen.

Konnte das Treffen in Tunesien die Spannungen, die es über die Führung und die Prioritätensetzung gab, lösen?

Ja, zum größten Teil jedenfalls. Ich leugne nicht, daß die Auseinandersetzungen heftig und auch emotional waren. Am letzten Sitzungstag wurde noch bis in die frühen Morgenstunden hinein gestritten. In einer Organisation wie der unseren arbeiten schließlich Leute, die sich mit Leib und Seele für ein Ziel einsetzen. Die finden es besonders schwer, mit Einschränkungen zurechtzukommen. Aber zum Schluß haben wir einstimmig für die wesentlichen Fragen Lösungen gefunden. Wir haben einen großen Schritt vorwärts gemacht. Vor allem haben wir eine gute Balance zwischen den Interessen von Süd und Nord gefunden. Insofern würde ich von einem tatsächlich historischen Treffen sprechen.

Die Versammlung hat durch ihre Beschlüsse in den letzten vier Tagen bestimmte Weichen gestellt. Wenn Sie sich vorzustellen versuchen, wie Greenpeace in vier Jahren aussehen wird – wird es dann noch die Organisation sein, die es jetzt ist, oder eine ganz andere?

Ich glaube nicht, daß sich jemals die spezifische Kultur von Greenpeace verändern wird: Gewaltlosigkeit, Protestaktionen vor Ort, innovative Kampagnenmethoden. Und doch glaube ich auch, daß es eine andere Organisation sein wird. Wir werden zu einer komplexeren, durchdachteren Herangehensweise kommen, wir werden realistischer sein. Wir werden wissenschaftliche Methoden stärker nutzen und ökonomische Strategien. Unsere Zielrichtung wird sich ändern: Wir werden viel mehr die Industrie angreifen. Die Politiker sind allzu leicht für Lippenbekenntnisse zu haben. Wenn man wirklich etwas verändern will, muß man an die Industrie herangehen. Wir werden weiterhin mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten. Das Zuckerbrot ist, daß wir Lösungen anbieten, den FCKW-freien Kühlschrank etwa. Aber die Peitsche werden wir nicht vergessen: Wenn die Industrie nicht endlich verantwortlich handelt, werden wir immer wieder durch unsere Aktionen Druck ausüben.

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