: Aufholjagdmüde Eleven-Elf
Bayern München spielt nur 2:2 gegen Spartak Moskau, bleibt damit mehr als fünf Wochen sieglos und sucht immer noch einen Stürmer ■ Aus München Markus Götting
Kurzes Flashback: Vor dem geistigen Auge flimmert das Oktoberfest 1993. Wir sehen Lothar Matthäus, wie er sich erregte, als ein Niederländer fotoapparatschwingenderweise versuchte, den Libero auf Zelluloid zu bannen. „Euch hat der Adolf vergessen“, fauchte der Lothar – der von sich sagt, er wähle wie er schieße: rechts – den erschrockenen Fan aus dem Nachbarland an. Am vierten Spieltag der Champions League erfolgte gegen Spartak Moskau im Olympiastadion die Kollektiv-Strafe.
Was Brasilo-Bayer Jorginho heftigen Verdruß bereitete. „Die Holländer hassen die Deutschen, deswegen hat der Schiedsrichter immer gegen uns gepfiffen“, echauffierte er sich gar heftig über den Pfeifenmann aus den Niederlanden. Das habe bereits vor dem Spiel begonnen: Ganz russenfreundlich war Leitwolf-Lothar kurz vor Anpfiff in die Kabine zurückgeeilt, um noch zwecks fußballkulturellen Austauschs einen Vereinswimpel herbeizuschaffen. Der niederländische Referee aber blökte den Lederhosen-Kapitän nur herrisch an. „Komm jetzt, komm“, soll der Unparteiische eilbeflissen befohlen haben. Verständlich – eine Verspätung kann ihn angesichts des minutiös geplanten Spektakels seinen Job kosten.
Um Arbeitsplatzsicherung war auf dem Felde ansonsten niemand so recht bemüht. Die Bayern-Balltreter irrten auf der eigenen Wiese orientierungslos umher und die Abwehr, in der der 18jährige Osei Kuffour den maladen Markus Babbel ersetzen mußte, bereitete schlafmützig ihrem Torwart Oliver Kahn ein Vollbeschäftigungsprogramm. Dieser wiederum räumte beim ersten Gegentreffer durch Andrey Tikhonov eine gewisse Mitschuld ein, machte allerdings gleichermaßen geltend, einem heimtückischen Foul zum Opfer gefallen zu sein.
0:1 also schon, als die vielen Ehrengäste noch nach ihren Plätzen suchten, dabei hatte Lothar Matthäus doch vor dem Kick annonciert, der deutsche Rekordmeister werde diesmal nicht einem Rückstand hinterherlaufen. Daß er es dennoch mußte, und zwar gleich zweimal, weil nach Christian Nerlingers Ausgleichstreffer Dimitri Alenitchev zum 1:2 traf, raubte Trainer Trapattoni die Nerven und seiner Eleven-Elf die Kraft. Wenngleich der vor allem in der zweiten Hälfte gelegentlich überforderte Osei Kuffour zum 2:2-Ausgleich traf, haben sie die Qualifikation fürs Europacup-Viertelfinale nun spannend gemacht. Ein „echtes Endspiel“ erwartet Kahn gegen Champions-League-Tabellenführer Paris.
Ob dann auch mal wieder mehr als 31.000 Zuschauer dem sportlich fragwürdigen Spektakel beiwohnen werden, ist fraglich, denn die Fans verabschiedeten die Mannschaft mit gellenden Pfiffen. Seit dem 1:0-Heimsieg gegen Dynamo Kiew am 28. September haben die Bayern nicht mehr gewonnen. Was die zarten Seelchen des grünschnäbligen „Kindergartens“ (der designierte Präsident Franz Beckenbauer) arg belastet. Die Ordnung sei nicht nur gegen den 15maligen russischen Titelträger verloren gegangen, analysierte Weltmeister Jorginho, der, als er die Initiative übernehmen wollte, „nur noch Chaos“ vorfand. Rekonvaleszent Markus Schupp, der sich nach einmonatiger Verletzungspause 64 Minuten lang über den Platz schleppte, sprach gar von „Gegentreffern wie in der A-Jugend“.
Und das Toreschießen bereitet dem bajuwarischen Starensemble weiterhin Schwierigkeiten: Alexander Zickler, bis vor wenigen Wochen noch Regionalliga-Kicker, vergab in der 77. Minute die Großchance auf den Siegtreffer, als er einen russischen Rückpaß erlief, allerdings an Keeper Dimitri Typuchkin scheiterte und hernach einen bedauernswerten Realitätsverlust erlitt: „Hätte der Torwart den Ball nicht mehr berührt, hätte ich ihn reingemacht.“
Wer aber außer Zickler soll die Tore schießen beim FC Bayern? Der französische Fünf-Millionen- Mann Jean-Pierre Papin kränkelt in Seele und Gebein. Frauenliebling Alain Sutter durfte mangels Spielkunst gar nicht erst mitmachen. Ein neuer Stürmer muß also her. Vortrefflich fügt es sich da, daß nach dem (vorerst?) gescheiterten Bergkamp-Transfer der verlorene Sohn Roland Wohlfarth zur Knochentherapie an der Isar weilt. Die Zeitung mit den großen Buchstaben hatte bereits dessen Verpflichtung gemeldet, die Manager Uli Hoeneß genauso hingebungsvoll dementierte. Ganz im Gegensatz zu Noch-Präsident-Scherer. „Der Roland trainiert jetzt einige Tage bei uns mit, damit der Herr Trapattoni sich ein Bild machen kann. Der Trainer entscheidet.“ Hoffentlich beeilt er sich.
Spartak Moskau: Tjapuschkin - Nikiferow - Ananko, Onopko, Rachimow - Alenitschew, Tichonow, Chlestow, Pjatnizki - Pissarew (83. Naduda), Ketchinow
Zuschauer: 31.000
Tore: 0:1 Tichonow (4.), 1:1 Nerlinger (29.), 1:2 Alenitschew (32.), 2:2 Kuffour (38.)
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