■ Nur der Verzicht auf Arbeit kann die Arbeit retten: Männer, nur Mut zur Entbehrlichkeit!
Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen: der Chef der bundesdeutschen Arbeitsämter, Bernhard Jagoda, fordert die Männer zu mehr Teilzeitarbeit auf, also dazu, weniger zu arbeiten. Und muß dabei nicht den Vorwurf befürchten, er zersetze die Arbeitsmoral. Denn die Wahrheit ist: das Begehren nach Arbeit durchdringt die bundesrepublikanische Gesellschaft inzwischen so stark wie noch nie. In dieser Stärke und Eindimensionalität wird es zu einer zerstörerischen Kraft, an der konservative Politiker mit ihrer krankhaften Hetze gegen nichtarbeitende angebliche „Sozialmißbraucher“ eifrig mitwirken.
Nach Erhebungen des ISO-Forschungsinstituts arbeiten beispielsweise Männer, die mit Frau und Kindern zusammenleben, mehr als ihre alleinstehenden Kollegen. Sie wünschen sich im Durchschnitt auch eine höhere Wochenarbeitszeit als Beschäftigte ohne Anhang. Das hängt natürlich mit der Angst vor Einkommenseinbußen zusammen. Es belegt aber auch, wie stark die Furcht ist, abgedrängt zu werden ins Lager der Verlierer. Denn in einer sich beschleunigenden Produktion drängt die Fliehkraft immer mehr Beschäftigte an den Rand. Ein Beispiel: 40 Mannstunden waren bis vor kurzem noch nötig, um einen VW-Golf herzustellen. Inzwischen brauchen die Facharbeiter nur noch 33 Stunden. 30 Stunden ist das nächste Ziel im kontinuierlichen Verbesserungsprozeß (KVP). Bei gleichbleibender Arbeitszeit wird somit ein Viertel der Leute überflüssig.
Produktivitätssteigerungen nützen also gar nichts auf dem Arbeitsmarkt, wenn damit nicht ein Verzicht einhergeht. Ein Verzicht der Beschäftigten auf Geld, auf Arbeit und damit auf Status. Ein Statussymbol ist die Überstunden-Woche: Beweis für die eigene Unentbehrlichkeit. Das ist nichts anderes als das Zeichen einer vermännlichten Arbeitsgesellschaft, also ein kulturelles Phänomen. Denn im Prinzip ist natürlich jeder Mensch entbehrlich und jeder Arbeitsplatz teilbar, da er ja schon Produkt einer Arbeitsteilung ist. Viele PersonalchefInnen wissen längst, daß Frauen mit Kindern die produktiveren MitarbeiterInnen sind. Denn sie wissen, was Zeit ist, gerade weil sie nicht soviel davon haben.
Von all dieser weiblichen Vernunft aber ist die männliche Status-durch-Arbeit-Gesellschaft weit entfernt. Das Begehren nach Arbeit nimmt keine Rücksicht. Die Arbeitgeber-Vertreter stärken diese Tendenz auch noch, indem sie ihren Produktivitätswahn als gesellschaftliches Allheilmittel verkaufen und reißenden Absatz finden. Genau deswegen kann sich BA-Präsident Jagoda hinstellen und mehr Arbeitsumverteilung auch unter Männern fordern. Er geht kein Risiko ein. Oder hört doch jemand hin? Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen