■ Die USA werden immer unregierbarer
: Pioniere unter sich

Vor den Halbzeit-Wahlen in den USA ist der Zorn der Wähler das Thema Nr.1. Die Republikaner erhoffen sich von der großen Desillusionierung die Wende. Was sie dem Wahlvolk allerdings anbieten, ist ein Aufguß jener Politik, die der Nation den Großteil jener Probleme bescherte, an denen sie zur Zeit krankt: Die Republikaner versprechen eine Senkung der Steuern bei gleichzeitiger Erhöhung der Rüstungsausgaben, einen Ausgleich des Haushaltsdefizits und die Abtragung der nationalen Schuld. Kürzungen im sozialen Bereich, nicht etwa bei den Subventionen, sollen das möglich machen. Können Wähler so blöd sein, die gleiche Mogelpackung zweimal zu kaufen?

Letztlich sind natürlich nicht allein die Republikaner am bisherigen Mißerfolg der Clinton-Regierung schuld, sondern die politische Klasse insgesamt und vor allem die Wähler selbst. Auch die Demokraten boykottierten jede Gesetzesvorlage, die nur den kleinsten Teil ihrer Klientel verschrecken könnte. Doch die Gründe für die Unregierbarkeit des Landes liegen tiefer. Fragt man einen Farmer, wie es ihm geht und warum sein Einkommen sinkt, wird er ohne Zögern „government“ antworten. Die Regierung mische sich zu sehr ein und mache zu viele Vorschriften. Daß der gleiche Farmer nur überlebt, weil gut 50 Prozent seines Einkommens aus Subventionen kommt, ist ihm egal. Die angebliche Allgegenwart der Regierung hat sich zu einer Verschwörungstheorie ausgeweitet. In diesem Klima gedeihen keine Reformen.

Vor genau hundert Jahren stellte der amerikanische Historiker Jackson Turner fest, daß die frontier geschlossen, der Wilde Westen erobert und besiedelt sei. Er berief sich auf die letzte Volkszählung im Lande, die für den ganzen Staatsraum eine Mindestbevölkerungsdichte ausmachte. Heute findet eine dramatische Entleerung des ländlichen Raums in Amerika statt. Die Bevölkerungsdichte ist in weiten Gebieten unter den Stand von 1894 gesunken. Doch während der gleiche Prozeß in Europa zu einer durchgängigen Urbanisierung führt, überleben ländliche und traditionelle Einstellungen in Amerika. Wenn nur die Regierung sich aus allem raushält, jeder Mann seine Waffe behalten, seine Familie um sich scharen und frei von Steuerabgaben im idealen Westen leben und arbeiten kann, dann wird schon alles so werden, wie es in den Kinder- und Geschichtsbüchern steht.

Daß die Welt sich weiterentwickelt hat, daß die Gesellschaft Wandlungen unterworfen ist, daß Einwanderungen die ethnische Zusammensetzung des Landes verändert, sich die klassischen Familienstrukturen längst zugunsten anderer Mischformen lösen – all das sind schmerzliche Erkenntnisse, vor denen sich Amerikaner immer noch mit einer Lebenslüge aus der Pionierzeit verschanzen. Reed Stillwater